„Treten Sie nicht länger auf die Investitionsbremse“

11. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 23. Februar 2017

Tagesordnungspunkt 6: Einbringung des Etats 2017. Erste Stellungnahme der Fraktionen und fraktionslosen Stadtverordneten

 

Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Renate Wolter-Brandecker:

Vielen Dank! Die bis jetzt letzte Wortmeldung kommt von Herrn Müller von der LINKE.?Fraktion. Bitte schön!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Frau Stadtverordnetenvorsteherin,

meine Damen und Herren!

Der Haushalt ist ein Spiegelbild unserer Stadt mit all seinen Facetten des sozialen Lebens, insofern kann ich wirklich jedem von uns nur raten, in diesen Haushalt Einblick zu nehmen. Was allerdings Sie, Herr Kämmerer, heute präsentiert haben, war meiner Meinung nach ein Zerrbild der Stadt Frankfurt. Ihre Interpretation ist immer noch geprägt von dem Bild Frankfurts als Konzern. Unserer Meinung nach fehlt Ihnen das Gespür für die sozialen Herausforderungen der Stadt Frankfurt.

(Beifall)

Herr Förster ging dankenswerterweise in seiner Rede gerade eben auf einige Aspekte ein. Sie haben gesagt, Frankfurt erwirtschaftet wieder Überschüsse, Sie sprachen vom Hattrick. Wahrscheinlich hat Ihnen Herr Schäuble auch schon gedankt, weil es heute die Meldung gab, dass der Bund auch einen Überschuss von 23 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Dennoch muss man feststellen, Überschüsse müssen investiert werden. Deswegen fordern wir: Treten Sie nicht länger auf der Investitionsbremse herum, sondern begreifen Sie endlich, dass soziale Verantwortung bedeutet, mehr in die soziale Infrastruktur dieser Stadt Frankfurt zu investieren.

(Beifall)

Was mir bei dieser Debatte ein bisschen zu kurz gekommen ist: Wir leben augenscheinlich in einer Überflussgesellschaft, allerdings hat diese Gesellschaft nicht nur Gewinner, es gibt auch Verlierer. Und über diese Verlierer wird viel zu wenig gesprochen in dieser Stadt. Das, meine Damen und Herren, sind nicht die Vermögenden, die sich die Eigentumswohnungen im neuen Henninger Turm leisten können, es sind vielmehr die Alleinerziehenden, es sind aber auch die Rentnerinnen und Rentner, die von Altersarmut betroffen sind. Überlegen Sie sich doch einmal, dass der Anteil der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung immer weiter steigt und 2015 bereits 15.381 Personen umfasst hat. Außerdem steigt der Anteil der arbeitsuchenden ALG-II-Bezieherinnen und -Bezieher in Frankfurt kontinuierlich an. Auch das gehört zur Wahrheit in dieser Stadt dazu. Deshalb fordert DIE LINKE schon seit Langem ein kommunales Beschäftigungsprogramm. Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, dass viel mehr Menschen in Arbeit kommen in dieser Stadt. Das hat auch etwas mit Haushaltspolitik zu tun.

Sie vergessen aber scheinbar vollkommen, auch insgesamt, dass die sozialen Schichten in dieser Stadt immer weiter auseinanderdriften. Einerseits wachsen die Wohnhochhäuser – Herr Kämmerer, Sie haben die Kräne erwähnt, Sie hätten auch sagen müssen, was die Kräne in der Innenstadt bauen. In erster Linie sind es Wohnhochhäuser, die Luxuswohnungen darstellen. Das haben Sie leider verschwiegen -, …

(Beifall)

… andererseits verlassen immer mehr Menschen die Stadt Frankfurt oder werden an den Stadtrand gedrängt, weil es zu teuer ist, hier zu leben. Dabei wäre es doch die gemeinsame Aufgabe von uns, dafür zu sorgen, dass Wohnungsnot in Frankfurt ein Fremdwort wird, meine Damen und Herren. Denn es gehört auch zur Wahrheit dazu, dass der sozialen Ausgrenzung keine politische Ausgrenzung folgen darf. Das ist die gemeinsame Verantwortung, die wir haben und der wir uns stellen müssen. Deshalb werden wir als LINKE die soziale Frage auch in der Haushaltsdebatte und in den kommenden Haushaltsberatungen stellen. Von uns werden konkrete Vorschläge kommen, wie das Leben der Menschen, aller Menschen – Herr Förster hat es gesagt – in Frankfurt am Main besser wird.

Lassen Sie mich kurz noch eine Bestandsanalyse dieser Koalition machen. Der Abend ist schon lang gewesen, wir haben uns alle ein Bild von der Art und Weise machen können, wie die Koalition agiert. Meiner Meinung nach trifft es die Devise vielleicht ganz gut, dass bei Ihnen gilt, es ist schon etwas gewonnen, wenn wir uns bewegen, auch wenn es in die falsche Richtung geht.

(Beifall)

Wenn man aber dann einen Blick in Ihren Koalitionsvertrag wirft, dann wundert man sich über diese Unfähigkeit und merkt nur am Rande, es sind doch hauptsächlich Lippenbekenntnisse, die verabredet wurden, was zur Folge hat, dass im ersten Jahr inhaltsschwere Anträge wie eine Kleingartensatzung oder Brückenbezeichnungen diskutiert wurden. Scheinbar ist es die liebste Angewohnheit dieser Koalition geworden, Vorlagen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Wie viele Vorlagen haben Sie denn schon zurückgestellt? Ich glaube, Sie kennen sich selbst gar nicht mehr aus.

Politik geht anders, meine Damen und Herren, und wir sind uns sicher, es kann besser laufen in Frankfurt am Main. Wir können mehr machen, weil wir doch eine reiche, prosperierende, anziehende europäische Metropole sind, die, wie der Oberbürgermeister oft betont, neben Brüssel und Straßburg die dritte europäische Hauptstadt ist. Ja, wenn Sie denn dann aber auch bitte schön die gemeinsamen europäischen Grundwerte, von denen auch schon die Rede war, ernst nehmen würden und zum Beispiel einmal einen Blick auf die revidierte europäische Grundrechtscharta werfen würden. Darin ist nämlich das Recht auf Wohnen verankert. Dann fragen wir uns vielleicht einmal gemeinsam, wie vielen Menschen wird das Recht auf Wohnen in Frankfurt denn erschwert durch eine immer schwierigere Situation am Wohnungsmarkt und tun wir als Politik wirklich alles, was in unserer Macht steht, um die Wohnungsnot nachhaltig zu lindern?

(Beifall)

Deshalb lassen Sie uns doch gemeinsam eine Stadt für alle verwirklichen, statt Klientelpolitik zu betreiben. Stecken wir doch gemeinsam unsere Kraft in wirkliche Konzeptionen, setzen wir langfristig Prioritäten. Ich habe das in Ihrer Haushaltseinbringung vermisst. Da war keine Vision, da war kein langfristiges Projekt. Scheinbar fahren Sie auf Sicht und haben überhaupt keinen Sinn mehr dafür, dass es für die Herausforderungen dieser Stadt mehr erfordert, als das, was Sie uns hier geliefert haben. Ich sage Ihnen eines: Die Größe der Aufgabe darf Sie auch da nicht schrecken, liebe Koalition, und wir als LINKE sind gerne bereit, Ihnen die Scheu vor sozialen Verbesserungen und wirklichen Innovationen zu nehmen.

(Beifall)

Zum Wohnen wurde schon viel gesagt. Ich möchte Ihnen noch einmal nahelegen, einen Blick in den Tätigkeitsbericht des Amtes für Wohnungswesen zu werfen. Wir als LINKE haben das als direkten Handlungsauftrag verstanden. Ich hoffe, die Koalition sieht das genauso. Darin wurde doch deutlich gesagt, dass Ende 2015 mehr als 9.500 Haushalte wohnungssuchend waren. Das sind über 22.000 Menschen in dieser Stadt. Das muss uns doch Auftrag genug sein. Die Wartezeiten für Sozialwohnungen sind viel zu lang. Da sind wir alle einer Meinung. Das kann nicht so bleiben und das müssen wir gemeinsam angehen.

Ich gebe auch meinem Vorredner von der SPD recht, es sind die Verfehlungen einer jahrzehntelangen falschen Politik, die wir jetzt gemeinsam ausbaden. Ich werfe es Ihnen nicht vor, dass Sie Fehler gemacht haben. Die Fehler wurden in den letzten Jahrzehnten gemacht, aber unsere Aufgabe muss es sein, jetzt dem sozialen Wohnungsbau zu helfen.

(Beifall)

Ein Punkt ist mir noch wichtig, der wurde noch gar nicht angesprochen: Die Altstadtsanierung ist auch so ein Prestigeobjekt gewesen. Sie hat sehr viel Geld gekostet, Unsummen wurden verschlungen. Kostensteigerungen um 80 Prozent wurden bislang festgestellt, fast schon 200 Millionen Euro wurden dafür verwendet. Außerdem haben wir ein Haus gebaut, von dem wir gar nicht wussten, wofür wir es eigentlich bauen sollten. Wir wussten nur, dass wir es bezahlen müssen. Das ist keine nachhaltige Politik. Andererseits, was macht die Politik denn dann bei der Einhausung? Stillschweigend haben Sie die Volleinhausung ad acta gelegt. Die L1-Variante spielt keine Rolle mehr, das steht so in Ihrem Koalitionsantrag drin. Unserer Meinung nach wäre es sinnvoller gewesen, das Geld für die Volleinhausung zu investieren als für eine unsinnige Altstadt und für unsinnige Häuser ohne Nutzen.

(Beifall)

Lassen Sie mich noch einen Punkt zu den Investitionen nennen. Es wird immer gesagt, wir können nicht so viel investieren, man muss auch an die zukünftigen Generationen denken. Aber Fakt ist doch, die Zinsen sind so niedrig wie noch nie. Es ist für die Kommune sehr leicht möglich, sich zu geringen Kosten zu finanzieren. Warum beherzigen Sie das dann nicht in großem Maße? Sie glauben nicht an meinen fiskalischen Sachverstand, Sie glauben nicht an den Sachverstand der LINKEN, aber vielleicht glauben Sie an das, was die Kreditanstalt für Wiederaufbau sagt. Die KfW kommt doch zu einer ernüchternden Bilanz, indem sie sagt, es gab bei den Gemeinden, Landkreise und Kommunen in Deutschland einen wahrgenommenen Investitionsrückstand im Jahr 2015, der sich auf 136 Milliarden Euro beläuft.

Wir wissen alle, ein Investitionsstau ist ein Megaproblem. Allerdings sagt die KfW auch, dass es für die meisten Kommunen nie leichter war, sich zu finanzieren als heute, auch für die reiche Stadt Frankfurt. Nie war es einfacher für uns, am Kapitalmarkt Kredite aufzunehmen, um damit in die Infrastruktur zu investieren, deshalb – Zitat der Kreditanstalt für Wiederaufbau: „Die Kommunen sollten diese aktuelle Phase der positiven Finanzierungssituation deswegen dazu nutzen, die dringenden Investitionen stärker als bislang anzugehen.“ Herr Kämmerer, ich frage Sie: Glauben Sie, dass Sie diesen Grundsatz oder diesen Ratschlag der KfW bislang auch nur annähernd beherzigt haben? Ich zweifle daran.

(Beifall)

Ich zweifle deswegen daran, weil ich glaube, dass Sie einer Mär anhängen, und zwar der Mär von der schwarzen Null. Sie glauben, die schwarze Null wäre der Ausdruck einer großen Wirtschaftskompetenz. Dennoch bedeutet die schwarze Null meiner Meinung nach eher eine Nullkompetenz in Sachen Wirtschaftspolitik.

(Beifall, Zurufe)

Ja, liebe Kollegin von der FDP, ich komme jetzt auf einen Unternehmenschef zu sprechen, das dürfte Ihnen sehr bekannt sein. Glauben Sie, dass ein Unternehmenschef, der bei niedrigem Schuldenstand und noch niedrigeren Zinsen auf rentable Investitionen verzichten würde, nicht ein Problem mit seinem Aufsichtsrat bekommen würde? Das Gleiche könnte auch für die Kommune gelten. Die Situation ist ähnlich, niedriger Schuldenstand, niedrige Zinsen, notwendige Investitionen, die nicht getätigt werden, also muss investiert werden, investiert werden, investiert werden. Das tun Sie unzureichend.

(Beifall)

Ein letzter Satz noch. Gerade weil man immer wieder von Rechtspopulisten hört – die Gefahr besteht, wenn auch manche nicht klar die Trennschärfe in ihrer politischen Argumentation hinbekommen -, sind wir der Meinung, dass es notwendig ist, gegenzuhalten, gegen Rechtspopulismus, gegen die geistigen Brandstifter, und wir glauben, man kann gegenhalten, indem man ein kommunales Investitionsprojekt auflegt und damit der AfD den Boden für ihre blanke Stimmungsmache entzieht. Ja, meine Damen und Herren!

(Zurufe)

Schade, dass die SPD jetzt auch nicht klatscht, immerhin hat Thorsten Schäfer-Gümbel das im November 2016 gesagt.

(Beifall, Zurufe)

Na ja, haben Sie es jetzt mühsam hervorgebracht? Es ist für uns beide die erste Haushaltsrede, Frau Busch, wir lernen auch noch beide und wir haben noch viel Zeit. Ich glaube insgesamt, dass diese Koalition auf niemanden inspirierend wirkt. Nein, weder auf die Menschen in dieser Stadt noch auf die Besucherinnen und Besucher hier oben noch auf die Opposition, die sich immer redlich müht, aber es doch nicht schafft. Ich glaube aber, am allerwenigsten wirken Sie inspirierend auf sich selbst, muss ich schon sagen, weil Ihnen die soziale Richtschnur fehlt. Ihnen fehlt die Vision für eine Stadt für alle. Das, was Sie vorlegen, ist zu wenig für diese Herausforderung. Es ist zu wenig, Sie scheitern – na ja, wahrscheinlich nicht am eigenen Anspruch – aber doch an den Erwartungen und Hoffnungen der vielen Menschen in dieser Stadt. Deswegen kann ich zu diesem vorgelegten Haushalt nur sagen: Wir werden nachbessern.

Danke!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

Dieser Beitrag wurde unter Michael Müller abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.
Nach oben