Das Recht auf Stadt gilt auch im Bahnhofsviertel!

18. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember 2022:

 

Stadtverordnete Dr. Daniela Mehler-Würzbach, LINKE.:

 

Sehr geehrter Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, das ist eine wahnsinnig anstrengende Debatte. Das hat bei mir einen persönlichen Hintergrund: Ich komme aus einer Familie, in der Sucht eine große Rolle gespielt hat. Ich hatte viele Erlebnisse, und ich finde, es wird hier etwas unwürdig – ich muss dieses Wort benutzen – über das Thema gesprochen. Suchtkranke Menschen sind krank. Suchtkranke Menschen haben ganz häufig Probleme, die wir allgemeinsprachlich ins Feld der psychiatrischen Erkrankungen stecken würden. Viele haben massive Traumatisierungen erfahren. Sie haben Dinge in ihren Biografien erlebt, von denen viele von uns keine Vorstellung haben und auch nicht haben sollten, um es ganz offen zu sagen. Diese Menschen gehören in unsere Gesellschaft. Diese Menschen gehören auch in unsere Stadt, wenn wir sagen, dass Frankfurt eine Stadt für alle sein soll.

 

Die Bild-Zeitung hat getitelt: „Schande im Bahnhofsviertel“. Die CDU treibt diesen Diskurs massiv voran und andere von rechts außen machen mit. Das wird dem Problem und den Menschen, die es betrifft, nicht gerecht. Wir brauchen hier eine sachliche, eine fachliche und eine ruhige Debatte und keine, die von Skandalisierung geprägt ist.

 

Es darf nicht darum gehen, mal schnell ein Konzept auszuprobieren. Es gibt hier keine schnellen Lösungen, keine low hanging fruits. Es ist auch vollkommen unrealistisch zu behaupten, es gäbe kurzfristig irgendwelche wirksamen Maßnahmen, um jemanden mit einem Fingerschnippen aus der Sucht zu befreien. Das ist einfach Quatsch und das muss so auch offen gesagt werden. Die Realität von Suchterkrankten ist eine andere. Die Realität von Suchterkrankten ist es, dass die Sucht sie häufig ein Leben lang begleitet, dass wir Drehtüreffekte haben und dass wir über sehr lange Zeiträume reden, in denen man sehr intensiv mit diesen Menschen arbeiten muss.

 

Es geht vor allem um Vertrauen, das gewonnen werden muss. Es geht darum, Perspektiven zu finden. Es geht um die Bearbeitung von krassen Situationen und auch von Alltagsproblemen, die diese Menschen haben. Das sind keine Probleme, die sich einfach mal kurz managen lassen. Eine Offensive ist da ein fehlgeleitetes Mittel. Worüber wir reden können, ist, dass sich viele Menschen kluge Gedanken machen, dass sich viele Menschen gemeinsam überlegen, welche Maßnahmen sinnvoll sind, welche unterschiedlichen Puzzlestücke ineinandergreifen müssen und vor allem, welche gesetzlichen und materiellen Grundlagen dafür gebraucht werden. Da möchte ich auf die Magistratsbank schauen, zu Herrn Bergerhoff. Es ist ein Thema, das uns natürlich umtreibt. Eine halbe Stelle hier, eine halbe Stelle da, das wird für den Bedarf nicht reichen, den wir tatsächlich haben. Es sind kleine Puzzlestücke, es ist ein Anfang und ein Schritt in die richtige Richtung. Aber ganz ernsthaft, wir müssen hier noch viel stärker über die materiellen Grundlagen sprechen, die es braucht, um adäquate Hilfestellungen und eine adäquate Ausstattung der Einrichtungen ermöglichen zu können, die natürlich eine Verbesserung und einen Ausbau benötigen, ganz klar.

 

Was mich heute sehr erstaunt hat, ist nicht nur die Diskussion, die die CDU führt – die erstaunt mich schon länger -, sondern auch die Kurzfristigkeit der Tischvorlagen, die wir bekommen haben. In denen steht viel drin, was zu begrüßen ist, es stehen aber auch Inhalte und Formulierungen drin, über die ich im einen oder anderen Fall gerne noch diskutieren würde, vor allem über die Frage von repressiven Instrumenten oder die Darstellung der Polizei an der einen oder anderen Stelle. Deswegen sehen wir uns heute nicht in der Lage, diese Anträge positiv zu bescheiden. Wir hatten nicht die Möglichkeit, über dieses wichtige Thema und die Formulierungen sachlich und fachlich sauber zu diskutieren, um heute damit umzugehen. Das heißt, wenn wir keine Zurückstellung dieser beiden Vorlagen erzielen können, sehen wir uns gezwungen, sie abzulehnen.

 

Ich möchte noch auf drei Punkte eingehen. Bei dem heute vorgelegten Antrag hat mich gewundert, dass da eine Priorisierung des Bahnhofsviertels beim Toilettenkonzept drinsteht. Warum hat man das nicht gleich ins Toilettenkonzept eingebaut? Ganz ernsthaft: Fatalerweise wurden bei der Erarbeitung des Toilettenkonzepts gerade dort, wo es am nötigsten ist, nämlich im Bahnhofsviertel, die Vorschläge für vollwertige Toiletten rund um den Bahnhof verworfen, mit Verweis darauf, dass die Toiletten Orte zur Müllablage oder mögliche Verweilorte werden könnten. Ich finde es gut, dass mittlerweile offensichtlich die Einsicht besteht – so ist es im vorgelegten Antrag formuliert -, dass die Priorisierung des Bahnhofsviertels im Toilettenkonzept mit kostenlosen und regelmäßig gereinigten und auch für Frauen geeigneten Toiletten nun entsprechend festgelegt wird. Das ist doch mal ein Schritt in die richtige Richtung. Was für ein Wahnsinn, dass man das die ganze Zeit noch nicht gemacht hat!

 

Ein zweiter Punkt, den ich eben schon angedeutet habe: Das Recht auf Stadt gilt auch im Bahnhofsviertel. Das heißt, einerseits ist natürlich die Verdrängung der Menschen, die auf der Straße unterwegs sind, keine Option. Gleichzeitig ist mir und uns als LINKE. wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass bei der Weiterentwicklung des Bahnhofsviertels darauf zu achten ist, dass nicht unterschieden wird, wer im Bahnhofsviertel sein darf, sein soll und wer nicht. Die Menschen müssen sich auch weiterhin das Wohnen im Bahnhofsviertel leisten können. Die Gefahr besteht offensiv und sie besteht angesichts der Entwicklungen im Bahnhofsviertel eben auch beim Thema Wohnen. Darauf müssen wir sehr achten.

 

Eine Sache ist mir auch noch wichtig, die heute noch nicht in dem Maße angesprochen worden ist, wie es nottut. Die CDU hat immer wieder – mit einem eigenen Antrag und auch im Zusammenhang mit dem Antrag, der aktuell Tagesordnungspunkt ist – die Forderung nach Waffenverbotszonen aufgebracht. Das Tragen von Waffen ist heute schon verboten. Eine Waffenverbotszone, wie sie der Polizeipräsident und eben auch die CDU gefordert haben, mit der quasi jeder Gegenstand zu einer gefährlichen Waffe erklärt werden kann, ist vor allem populistische Symbolpolitik und staatlich verordnete Willkür.

 

Der Polizei wird damit die Möglichkeit für anlasslose Kontrollen geschaffen, was zur Stigmatisierung ganzer Gegenden und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner führt und auch Racial Profiling befördert. Waffenverbotszonen sind abzulehnen. Übrigens diskutiert man in Wiesbaden, wo Polizeipräsident Müller ebenfalls die Einführung einer Waffenverbotszone betrieben hat, mittlerweile wieder deren Abschaffung. In Leipzig wurde 2021 eine Waffenverbotszone wieder gekippt, weil sie sich als wirkungslos und als in der Bevölkerung nicht akzeptiert erwies. Ein Gefühl von Sicherheit entsteht vor allem durch das soziale Netz in einem Viertel, durch Vertrauen und nicht durch Stigmatisierung und Repression. Es muss darum gehen, an diesem sozialen Netz wieder und weiterhin zu stricken.

 

Vielen Dank!

 

 

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