Rede während der 43. Plenarsitzung am 18. September 2025
Sehr geehrter Herr Vorsteher,
werte Kolleg:innen!
Freiheitsentzug ist das härteste Mittel, das einem Rechtsstaat zur Verfügung steht. Entsprechend absurd ist es, dass Tausende Menschen in Deutschland wegen nicht bezahlter Fahrscheine in Haft sitzen. Fahren ohne Fahrschein ist ein Armutsdelikt. Die allermeisten Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe aufgrund von Fahren ohne Fahrschein verbüßen, sind von Armut betroffen, der Großteil ist arbeitslos, viele sind drogenabhängig oder ohne festen Wohnsitz. Sie sitzen im Gefängnis, weil sie sich die Geldstrafe nicht leisten können. Niemand sollte wegen fehlender Fahrscheine im Gefängnis sein. Die Vielzahl an Verfahren belasten die Justiz. Der heutige hessische Innenminister Roman Poseck bekannte 2022 als Justizminister, die strafrechtliche Verfolgung von Menschen, die ohne Fahrschein fahren, binde „erhebliche und eben möglicherweise auch unverhältnismäßige Ressourcen“. Der ehemalige CDU‑Justizminister von NRW, Peter Biesenbach, bekannte: „Es macht keinen Sinn, wenn Menschen, die drogen- oder alkoholabhängig sind und deswegen ohne Fahrschein fahren, eingesperrt werden müssen, weil sie die Kosten nicht bezahlen können.“ Die Kriminologin Nicole Bögelein von der Uni Köln schätzt, dass die Bundesrepublik jedes Jahr etwa 114 Millionen Euro aufwendet, um Fahren ohne Fahrschein zu verfolgen, zu verurteilen und die Urteile zu vollstrecken. Diese Mittel können sinnvolleren Zielen dienen: Prävention, soziale Unterstützung, Mobilität als Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Linke setzt sich für eine konsequente Entkriminalisierung von Fahren ohne Fahrschein ein, auf Bundesebene und auch lokal hier in Frankfurt. Im Juli 2022 haben wir den ersten Antrag gestellt, mit dem Ziel, dass VGF und der von der traffiQ beauftragte Dienstleister auf Strafanzeigen wegen Leistungserschleichung nach § 265a Strafgesetzbuch verzichten. Er wurde mit Verweis auf eine kommende Novellierung auf Bundesebene abgelehnt.
Einen neuen Antrag haben wir im Herbst 2023 gestellt. Er wurde mit Prüfung und Berichterstattung votiert. Derweil wurden allein 2023 fast 4.400 Strafanträge von VGF und traffiQ gestellt. Im Juli 2024 schließlich lag der Bericht des Magistrats vor, der mit den Worten einleitete: „Grundsätzlich ist das Vorgehen, auf Anzeigenerstattung bei Fahren ohne gültigen Fahrschein vollständig zu verzichten, wünschenswert.“
Im Herbst 2024 stellten wir erneut einen Antrag, den Antrag, dessen Beschluss wir heute feiern werden und der über viele Monate zurückgestellt wurde. Seitdem habe ich in jeder Sitzung des Ausschusses für Mobilität und Smart‑City zu dem Thema gesprochen: über die Betroffenen in Haft, über neu hinzugekommene Kommunen, die keine Strafanträge mehr stellen. Ein Vorankommen in dieser Frage scheiterte drei Jahre lang an der Bereitschaft der Koalition, sich eingehend mit dem Thema zu befassen, und vor allem an der FDP. Herr Schulz hat uns da im Ausschuss für Mobilität und Smart City schon unangenehme Einblicke gewährt, während in Köln bereits 2023 der Erfolg gefeiert werden konnte, dass die Initiative – hört zu: der FDP -angenommen wurde. In Köln war es die FDP, die die Initiative ergriffen hat, Fahren ohne Fahrschein nicht mehr per Strafantrag zu verfolgen. Der Kölner Stadtrat sah dann eine Gefängnisstrafe für das Fahren ohne Fahrschein als unverhältnismäßig an, während wir in Frankfurt weiter Menschen für ein Armutsdelikt ins Gefängnis geschickt haben.
Heute endlich schließt sich Frankfurt der kommunalen Bewegung an. Frankfurt schließt auf zu Bremen, Bremerhaven, Bonn, Düsseldorf, Halle, Köln, Münster, Wiesbaden, Mainz, Karlsruhe, Potsdam, Halle, Leipzig und Dresden. Das ist ein wichtiger Schritt und ich danke allen, die hierzu beigetragen haben. Besonders möchte ich mich beim Freiheitsfonds bedanken. Die Aktivist:innen streiten für die Entkriminalisierung und lösen Betroffene mit Spendengeldern aus den Justizvollzugsanstalten aus, was übrigens den Steuerzahlenden in diesem Land richtig viel Geld spart. Sie haben auch Betroffene hier bei uns in Preungesheim freigekauft und sie erzählen deren Geschichten: von denjenigen, die krank und arbeitslos waren und sich die Fahrkarte zum Arzt oder zu ihren Kindern nicht leisten konnten; von denjenigen, die es einfach nicht geschafft haben, sich um alles zu kümmern; von dem Mann, der seinen Job verloren hatte und vom bestehenden Haftbefehl erst bei der Festnahme erfuhr, die Zahlungsaufforderung des Gerichts hatte ihn nie erreicht, er hatte immer woanders gewohnt; von den Kindern, die während der Haft der Eltern in Pflegefamilien untergebracht wurden; von dem Polizisten, der darum bat, die Strafe einer Frau zu begleichen, die bei einer Inhaftierung Arbeit und Wohnung verloren hätte. All diese Menschen brauchen keinen Knast, sie brauchen Unterstützung.
Für alle, die jetzt laut zetern: Die Umsetzung des vorliegenden Antrags ist beileibe nicht die Einführung des Nulltarifs oder der Straflosigkeit. Das Prinzip „Fahren nur mit gültigem Fahrschein“ bleibt, die Kontrollen bleiben, das erhöhte Beförderungsgeld wird weiter fällig, VGF und traffiQ haben weiterhin die Möglichkeit, das Bußgeld auf zivilrechtlichem Weg einzuklagen. Es wird lediglich davon abgesehen, darüber hinaus noch einen Strafantrag zu stellen. Ich erwarte jetzt eine zügige Umsetzung bei VGF und traffiQ. Die beiden grünen Mobilitätsdezernenten in Wiesbaden und Frankfurt fordere ich auf, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen und auch bei den Umlandgemeinden und dem RMV dafür zu werben, keine Strafanträge mehr zu stellen. Von Frankfurt aus sollen heute zwei wichtige Signale gehen: Erstens, ein 90 Jahre alter Naziparagraf gehört in die Geschichtsbücher und zweitens, es gilt, Armut zu bekämpfen, nicht die Armen.
Vielen Dank!
