Es ist wichtig, was man baut und für wen man baut

19. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 14. Dezember 2017

Tagesordnungspunkt 9: Frankfurt-Nordwest (Gemarkung Niederursel und Praunheim) Vorbereitende Untersuchungen für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Vielen Dank, Herr Dr. Römer! Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Yilmaz von der LINKEN. Bitte!

Stadtverordneter Eyup Yilmaz, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Vorsteher,

meine Damen und Herren!

Die Mieten in Frankfurt und der Rhein-Main-Region sind kaum noch bezahlbar. Die Mieten steigen ungebremst, während immer weniger Sozialwohnungen zur Verfügung stehen, dabei stehen schon jetzt rund 10.000 Haushalte auf der Warteliste für Sozialwohnungen. Nach einer Studie des Institutes für Wohnen und Umwelt haben darüber hinaus 49 Prozent der Frankfurter Miethaushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung. Um den Bedarf zu decken, brauchen wir in Frankfurt 110.000 zusätzliche Sozialwohnungen. Andererseits steigen die Gewinne der Investoren, die ihr Kapital in Immobilien anlegen, teilweise ohne überhaupt Wohnraum zu schaffen. Die Segregation der Bevölkerung ist in einer alarmierenden Masse gestiegen. Ich finde, das muss sich ändern.

Dringend geändert werden muss nicht nur, welche Entscheidungen getroffen werden, sondern auch, wie diese Entscheidungen entstehen. Zum Beispiel war die Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung am Stadtentwicklungskonzept Frankfurt 2030 im vergangenen Jahr wie befürchtet reine Show. Nun hat die Koalition über das neue Baugebiet entschieden, ohne die Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu fragen und ohne das integrierte Stadtentwicklungskonzept vorzulegen. Mit dem Bauen, Bauen und Bauen können Sie das Wohnungsproblem nicht lösen. Es ist wichtig, was man baut und für wen man baut. Stadtentwicklung soll nach dem Bedarf der Bevölkerung erfolgen. Wir, die Fraktion DIE LINKE. im Römer, finden, dass eine Untersuchung um das potenzielle Baugebiet an der A 5 nur sinnvoll ist, wenn die folgenden Punkte beachtet und umgesetzt werden.

Punkt eins: Partizipation garantieren. Die Stadt muss während des gesamten Prozesses der Flächenentwicklung und darüber hinaus mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit den Nachbargemeinden intensiv im Dialog stehen. Das heißt für uns auch, dass Stimmen der Kritik ernst genommen werden und eine tatsächliche Mitsprache ermöglicht wird. Dazu müssen alle Untersuchungsergebnisse öffentlich zugänglich gemacht werden, und es muss klar sein, dass die Ergebnisse am Ende des Austausches stehen und nicht am Anfang.

(Beifall)

Punkt zwei: Ökologische und klimatische Bedingungen beachten. Das für die vorbereitende Untersuchung ausgewählte Gebiet an der A 5 ist Wasserschutzgebiet, Landschaftsschutzgebiet, Artenschutzgebiet und Trinkwasserschutzgebiet. Deshalb müssen vor allem ökologische und klimatische Folgen einer eventuellen Bebauung umfassend untersucht werden. Wir wollen nicht um jeden Preis ein Baugebiet entwickeln. Heutige Entscheidungen müssen wir auch im Sinne der jungen und folgenden Generation treffen.

Punkt drei: Hochspannungsleitungen und Gasleitungen unter die Erde verlegen. Außerdem: Verlaufen Hochspannungsleitungen durch das Gebiet, dann muss eine Wohnbebauung mindestens 400 Meter entfernt sein. Von der Hauptgasleitung, die durch das Gebiet läuft, muss eine Bebauung aus Sicherheitsgründen mindestens 350 Meter entfernt sein. Die Leitungen unter die Erde zu verlegen, ist eine Möglichkeit, die unbedingt geprüft werden muss.

(Beifall)

Punkt vier: Volleinhausung der Autobahn 5. Die Autobahn 5 stellt ein großes Problem dar, denn sie teilt das Untersuchungsgebiet und damit gegebenenfalls einen neuen Stadtteil. Außerdem verursacht die achtspurige Autobahn Lärm und Schadstoffe. Ohne Einhausung der A 5 können wir einer Wohnbebauung daher nicht zustimmen, denn wir sind dagegen, dass Wohnbebauung als Lärmschutz eingesetzt wird, insbesondere dürfen keine Sozialwohnungen als Lärmschutz dienen.

(Beifall)

Eine moderne Stadt würde die A 5 unterirdisch führen, daher die Autobahn tiefer legen und danach in der vollen Länge überdecken und mit moderner Luftfiltertechnik die Abgasbelastungen kontrollieren. Nur so kann der Stadtteil zusammenwachsen. Außerdem muss niemand unter dem Lärm leiden. Durch eine derartige Einhausung ist es zudem möglich, zusätzliche Frei- und Erholungsflächen zu schaffen, beispielsweise für Naherholung oder Sport.

Punkt fünf: Frühzeitig Infrastruktur anschließen. Nicht nur die Einrichtung von öffentlichen Nachverkehrsverbindungen, sondern auch der Bau von Kitas, Schulen, Gesundheitszentren oder Jugendeinrichtungen sollte frühzeitig erfolgen. Im Falle einer Bebauung muss insbesondere die Verkehrserschließung und Anbindungen an das Gebiet abgeschlossen sein, am besten vor Beginn der Wohnbebauung. Ökologisch nachhaltige Fortbewegungsmittel müssen gestärkt werden, angrenzende Gebiete sollen so wenig wie möglich verkehrlich belastet werden. Das bedeutet für uns, dass die Erschließung neuer Baugebiete.

 

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Entschuldigung, Herr Yilmaz, dürfte ich die Pressekonferenz dort hinten in der Ecke darum bitten, das Ganze nach außerhalb des Saales zu verlagern? Danke für Ihr Verständnis. Bitte, Herr Yilmaz!

Stadtverordneter Eyup Yilmaz, LINKE.:

(fortfahrend)

Das bedeutet für uns, dass die Erschließungen neuer Baugebiete vorrangig über einen barrierefreien öffentlichen Nahverkehr verfügen.

Punkt sechs: Aus Planungsfehlern der Vergangenheit lernen, Bauland und Wohnungen dem Markt entziehen. Bei der Planung und der Realisierung dürfen nicht dieselben Fehler gemacht werden wie in der Vergangenheit. Bei der Entwicklung des Riedbergs wurde aus unserer Sicht viel falsch gemacht, denn hier ist kaum bezahlbarer Wohnraum entstanden. Trotzdem hat die Stadt am Ende Verluste aus den Erschließungsmaßnahmen des Riedbergs übernommen. Es ist für uns ein wichtiger, ein zentraler Punkt, dass die Stadt selbst Bauland entwickelt, die Grundstücke im städtischen Eigentum behält und möglicherweise sogar selbst bebaut.

(Beifall)

Außerdem kann die Stadt Grundstücke in Erbpacht an die städtische Wohnungsbaugesellschaften, gemeinnützige Genossenschaften oder an Mietsyndikate vergeben. Grundstücke an Investoren zu verkaufen, lehnen wir streng ab.

(Beifall)

Punkt sieben: Sozialen und ökologischen Wohnungsbau realisieren. Das ökologische Bauen muss im Vordergrund stehen. In Graz und Wien entstehen schon jetzt Wohnhäuser, die im kommunalen Besitz bleiben, energieeffizient sind und für fünf bis sieben Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Ökologische Energieeffizienz, qualitativ hochwertiger und bezahlbarer Wohnungsbau muss sich nicht ausschließen und ist auch in Frankfurt möglich.

(Beifall)

Einfamilienhäuser oder Eigentumswohnungen sind daher nicht der richtige Weg für einen neuen Stadtteil. Vielmehr fehlen in Frankfurt bezahlbare Wohnungen und Sozialwohnungen. Die müssen entstehen, und diese Wohnungen müssen auch architektonisch gut und energieeffizient sein.

Punkt acht – dies ist der letzte: Wir lehnen ein Beratungsgremium oder ein Konsilium ab. Aus unserer Sicht gibt es nur negative Beispiele, die der Beirat bisher begleitet hat, das Deutschherrnufer in Sachsenhausen, der Westhafen und der Riedberg. Hier wurde teuer und monoton gebaut. Ein solcher Beirat scheint also nicht zu bezahlbarem Wohnraum zu führen. Aus unserer Sicht müsste Voraussetzung für einen Beirat sein, dass dieser kontrollierbar arbeitet und legitimiert ist. Die Besetzung sollte nicht nur ausgebildete Fachleute wie Planer und Architekten umfassen, sondern auch Initiativen und Sozialarbeiter einbinden. Ein solcher Beirat bekommt damit eine ganz andere Dynamik und eine gewichtige Einflussnahme. Wenn überhaupt ein Beirat nötig ist, dann sollte eine Art Bürgerinnen- und Bürgerbeirat entstehen, um die öffentlichen Belange wahrzunehmen.

(Beifall)

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Herr Yilmaz, bitte kommen Sie zum Ende.

Stadtverordneter Eyup Yilmaz, LINKE.:

(fortfahrend)

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich sagen, Wohnraum darf keine Ware sein. Wir wollen eine Stadt, in der das Wohnen…

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Herr Yilmaz, Ihre Redezeit ist überschritten.

Stadtverordneter Eyup Yilmaz, LINKE.:

(fortfahrend)

…ein bedingungsloses Recht für alle ist, völlig egal für welche…

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Ich habe jetzt Ihr Mikrofon abgeschaltet, weil Sie schon so lange über Ihrer Redezeit waren. Sie können gerne noch eine weitere Wortmeldung abgeben.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

 

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