Die Debatte um den kommunalpolitischen Situationsbericht ist ein kollektives Armutszeugnis

16. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. August 2017

Tagesordnungspunkt 6: Kommunalpolitscher Situationsbericht des Oberbürgermeisters

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Vielen Dank, Herr Dr. Schmitt! Nachdem jetzt die 24. Wortmeldung zu diesem Tagesordnungspunkt bei mir eingetroffen ist, komme ich zur 22. Wortmeldung von Herrn Stadtverordneten Müller von der LINKE.?Fraktion. Sie haben noch 13 Minuten eigene Redezeit und von den FRANKFURTERN elf Minuten und 40 Sekunden übertragen bekommen. Sie können die 20 Minuten Redezeit voll ausschöpfen. Bitte schön!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Herr Vorsteher,

meine Damen und Herren!

Das stimmt mich hoffnungsfroh. So viel Zeit brauche ich aber nicht.

Herr Oberbürgermeister, Sie müssen sich sichtlich wohlfühlen. Seit Stunden hat sich niemand mehr mit Ihrer Wohlfühlrede beschäftigt, die weichgespült war und in keiner Weiser den Anforderungen gerecht wurde. Ich finde es auch ein bisschen nachdenklich, dass der kommunalpolitische Situationsbericht sich die letzten Stunden eigentlich kaum um die wirklichen Probleme der Menschen in dieser Stadt gedreht hat. Darüber möchte ich jetzt reden.

(Beifall)

Herr Oberbürgermeister, Sie haben in Ihrer Rede dankenswerter Weise Stützpfeiler entwickelt. Sie sprachen von einer Vision. Die haben Sie dann aber nicht wirklich skizziert. Es soll sozial sein, es soll sicher sein, es soll stark sein. Das hat sich wie ein roter Faden durch Ihre Rede durchgezogen. Ich würde mir wünschen, wir hätten uns in der Debatte aber eigentlich viel mehr Gedanken gemacht, was es eigentlich bedeutet, eine soziale Stadt gemeinsam zu gestalten. Ich hätte mir gewünscht, Sie, Herr Peter Feldmann, hätten viel stärker artikuliert, was es heißt, soziale Gerechtigkeit in dieser Stadt zu realisieren. Sie haben Worthülsen produziert. Sie haben sich dann durch die gesamten Bereiche durchgehangelt.

Sie haben wohlfeil all Ihren Magistratskollegen gedankt. Sie haben den einen gelobt und den anderen gelobt. Das ist aber nicht das, was die Menschen dieser Stadt erwarten. Soziale Gerechtigkeit bedeutet eben mehr als auf Plakate zu schreiben, Zeit für soziale Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit muss man sich in Debatten erstreiten. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das heute an diesem Abend begonnen. Aber leider sind wir dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Für mich als Linken bedeutet soziale Gerechtigkeit ganz einfach, dass sich niemand in dieser Stadt Gedenken machen muss über den sozialen Status, dass sich niemand Gedanken machen muss, finde ich eine Wohnung, oder welchen Status habe ich.

Herr Oberbürgermeister, ich hätte mir auch gewünscht, Sie hätten Ihre Rede ein bisschen mit Fakten untermauert. Warum sagen Sie denn nichts zu der gestiegenen Armutsquote in der Stadt Frankfurt am Main, die kürzlich veröffentlich wurde?

(Beifall)

Warum sagen Sie dazu keine Silbe, Herr Oberbürgermeister? Das ist doch ein Armutszeugnis für diese Stadt.

(Zurufe)

Warum sagen Sie nichts zu der Tatsache, dass es natürlich eine Masse an prekären Jobs gibt in Frankfurt am Main? Warum sagen Sie wenig zu den Arbeitsbedingungen, die für immer mehr Menschen in dieser Stadt indiskutabel sind? Da hätte ich mir echt mehr erwartet.

Übrigens sind Sie auch Aufsichtsratsvorsitzender der Fraport. Sie spielen dort eine wichtige Rolle. Warum zum Beispiel haben Sie denn nichts gesagt bei der Frage Lohndumping? Sie haben in Ihrer Rede das Thema Lohndumping ja erwähnt. Und jetzt mussten wir erleben, dass bei der Fraport die Türen geöffnet werden für die Low-Budget-Airlines. Ryanair wird der rote Teppich ausgelegt. Sie wissen so gut wie ich, dass die Billigairlines kein Garant für gute sozialversicherungspflichtige Jobs sind. Dazu hätte ich mir ein paar Worte gewünscht.

(Beifall)

Sie haben ferner in Ihrer Rede gesagt, na ja, Sicherheit, sicher. Ich hätte eigentlich gern auch eine Rede zur Situation im Bahnhofsviertel halten können. Herr Frank, Sie haben in der Aktuellen Stunde etwas davon gesagt, dass sich alle Menschen in Frankfurt mehr Uniformierte auf den Straßen wünschen. Nein, das ist mit Sicherheit nicht so.

(Beifall)

Es gibt viele Menschen, die Sicherheit anders beantwortet wissen wollen als durch mehr Uniformierte. Der Sicherheitsbegriff kann auch anders definiert werden. Wir müssen über soziale Sicherheit sprechen.

(Beifall)

Soziale Sicherheit bedeutet, dass alle Menschen in dieser Stadt eine gute Zukunft haben. Ich bin deswegen angetreten, um diese Kommunalpolitik zu machen, aber ging es in dieser Debatte, schauen Sie sich doch selbst einmal an, noch um soziale Sicherheit? Ging es da eigentlich noch um die Menschen, für die wir Politik machen? Ich glaube nicht. Das ist auch ein kollektives Armutszeugnis dieses heutigen Abends.

(Beifall)

Der bescheuerte Antrag der FDP musste diskutiert werden, aber leider Gottes ist er zur falschen Zeit diskutiert worden. Er hätte unter einem anderen Tagesordnungspunkt, unter „ferner liefen“ diskutiert werden sollen und nicht jetzt.

(Beifall)

Dann haben Sie etwas von Stärke gesagt. Das ist wirklich ein gutes Wort. Stärke. Dafür habe ich für Sie auch eine Empfehlung, was denn Stärke ist. Stärke ist, wenn man sich mit den Investoren in dieser Stadt anlegt. Das wäre Stärke. Das wäre im Sinne der Menschen in dieser Stadt, weil, das müssen Sie konstatieren, es ein Ungleichgewicht in dieser Stadt gibt. Die einen haben mehr Einfluss, mehr Kapital, die anderen weniger. Unsere Aufgabe wäre es doch, die Schwachen zu stärken. Das wäre die Aufgabe. Und das bedeutet, sich mit dem Kapital anzulegen. Ihr Planungsdezernent hat es gesagt und weiß es auch: Die Bodenfrage ist existenziell. Die Bodenpreise gehen durch die Decke. Er muss sich täglich mit den Investoren anlegen, die sich um die wenigen Parzellen in Frankfurt noch streiten. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie klar gesagt hätten, mit diesen Investoren mache ich keine Politik, mit denen lege ich mich im Dienste der Menschen an. Das wäre sozialdemokratische Politik.

Ich kann an Sie nur appellieren, dass Sie das im Wahlkampf, in dem Sie sich ja bald befinden, noch stärker herausstellen. Mir ist es egal, wie viele Fotos Sie machen und auf wie vielen Fotos Sie zu sehen sind. Das hat keine Relevanz, um zu beurteilen, wie gut Ihre Politik ist, die Sie machen. Mir geht es darum, dass Sie sich am Ende für die Menschen einsetzen, dass es für alle in dieser Stadt sozial besser wird, dass Sicherheit auch soziale Sicherheit ist und dass Stärke vor allem bedeutet, dass man eben nicht Investoren ausgeliefert ist, sondern dass man sich auf ein starkes Gemeinwohl verlassen kann. Das wäre ein Dreiklang, der eines Oberbürgermeisters in dieser schönen Stadt würdig wäre. Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute Abend darüber eine Debatte führen.

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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