In einer Demokratie kann es keine Leitkultur geben

17. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 28. September 2017

Tagesordnungspunkt 9: Leitkultur

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kliehm von der LINKE.-Fraktion. Das ist auch die bisher letzte Wortmeldung. Bitte schön!

Stadtverordneter Martin Kliehm, LINKE.:

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr Dr. Rahn!

Sie werden sich jetzt doch noch nach mir zu Wort melden. Ich möchte Sie aber zunächst fragen, wo eigentlich ihr Problem ist. Wir sind hier in Frankfurt. Frankfurt lebt von seiner Diversität. Ich habe den Eindruck, wenn Sie kein Problem haben, dann schaffen Sie sich eins. Da kann ich Ihnen diesen kleinen Zettel empfehlen: „Alternative für Deutschland – Wählerservice: Finden Sie Ihr Problem“ – da können Sie dann kombinieren, wie zum Beispiel: „Teddywerfende GEZ-Emanzen haben meine Xavier-Naidoo-CD zwangshomosexualisiert.“

(Heiterkeit)

Oder: „Linksgrün versiffte Lügenpresse-Demonstranten haben mein Panini-Album zu Tode gegendert.“

(Beifall, Heiterkeit)

Das klingt wie das, was die AfD hier immer bringt. Sie haben aber scheinbar kein Problem – in diesem Zusammenhang vielen Dank für das Stück „Safe Places“ im Schauspiel Frankfurt – mit der Vielfalt von über 1.500 Biersorten oder 7.000 Brotsorten in diesem Land.

(Beifall, Heiterkeit)

Brotsorten sind essenziell für die hiesige Leitkultur, anscheinend auch in Ostdeutschland. Herr de Maizière, der Kollege hat es gerade erwähnt, hat dorthin Verbindungen. Ich frage mich, wann sich denn endlich diese Menschen aus den national befreiten Zonen in Ostdeutschland unseren Werten anschließen und sich in unsere Kultur integrieren. Das halte ich für viel wichtiger.

(Beifall)

Aber eine nationalistische Ausgrenzung in ein „Wir“ und die „Anderen“ oder die „Fremden“, denen de Maizière in seinem Artikel pauschal Gewalt und Missachtung der Menschenrechte – wie auch die AfD – unterstellt, ist Munition für Rechtsterroristen, wie denen von der NSU oder in Freital. In einer Demokratie kann es keine Leitkultur geben. Das sehen manche Politiker von der CDU und der AfD anders. Sie probieren, uns damit ihr autoritäres Weltbild vorzuschreiben. Aber das Parteiethos von diesen Parteien ist weitaus enger und undemokratischer gefasst als die heterogenen und einem stetigen Wandel unterzogenen Werte in Europa oder gar des Westens.

Die AfD und auch de Maizière stellen dabei zunächst die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger unseres Landes über alle anderen Einwohnerinnen und Einwohner. Das widerspricht allgemeinen Verfassungsprinzipien.

Professor Dr. Martin Seel hat in der Frankfurter Rundschau in einem Gastartikel beschrieben, dass der Versuch einer politischen Installation einer christlich gefärbten Leitkultur in einem säkularen Staat offen verfassungswidrig ist. Sie begründen eine vermeintliche Bedrohung unserer Kultur durch die Migrantinnen und Migranten. Aber Deutschland und Frankfurt umso mehr mit seiner Bevölkerung, die mehrheitlich einen Migrationshintergrund hat, sind die Summe und die Vielfalt aller Menschen, die hier leben.

(Beifall)

Selbst wenn Sie die deutsche Sprache für die Menschen, die hier leben, als Grundlage nehmen würden, bleibt festzuhalten: Sie und ich sprechen nicht die gleiche Sprache. Es ist das Wesen einer Demokratie, in einer Sprache auch Dissens ausdrücken zu können.

(Beifall)

Ich halte angesichts rechter Terrornetzwerke die Forderung nach Nationalismus und Patriotismus für brandgefährlich. Nach eigener Fasson zu denken und im Rahmen gleicher Rechte für alle zu reden und zu leben, das ist unsere Kultur. In einer Demokratie werden, anders als in einer Meritokratie, alle Personen gleichwertig als selbstbestimmte Wesen anerkannt, unabhängig von ihrer Herkunft, ihren Fähigkeiten, Leistungen und Wertvorstellungen. Toleranz und Solidarität sollten unser Handeln bestimmen, nicht Ausgrenzung und Elitenbildung.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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