Im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung trafen am 13. Mai zwei Perspektiven aufeinander: Conrad Kunze, Autor von „Deutschland als Autobahn – Eine Kulturgeschichte von Männlichkeit, Moderne und Nationalismus“, und Daniela Mehler-Würzbach, mobilitätspolitische Sprecherin der Linksfraktion, sprachen über die ideologischen Wurzeln der deutschen Autobahnen – und über die Bedeutung von Protest und Aufarbeitung heute.
Frankfurt – ein historischer „Tatort“
Die Mainmetropole spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte der deutschen Autobahn: Bereits 1926 wurde hier der Verein zum Bau einer Schnellstraße von Hamburg über Frankfurt nach Basel gegründet – HAFRABA. Und hier inszenierte sich Hitler im September 1933 beim ersten Spatenstich propagandawirksam als „Schöpfer der deutschen Autobahn“ – obwohl bereits zuvor Strecken in Berlin und Köln-Bonn existierten.
Am 19. Mai 1935 eröffnete Hitler den ersten Autobahnabschnitt zwischen Frankfurt und Darmstadt. Die Nationalsozialisten nutzten die Autobahn als Prestigeprojekt – als Symbol für Fortschritt, Stärke und eine angeblich neue Ära. Der Mythos der „unpolitischen“ Autobahn war geboren und wirkt bis heute fort. Dabei war das Autobahnprojekt von Anfang an ein Instrument nationalsozialistischer Propaganda, durchsetzt mit ideologischer Aufladung, Zwangsarbeit und tiefgreifenden Eingriffen in Natur und Gesellschaft. Diese Geschichte ist in der breiten Öffentlichkeit kaum aufgearbeitet – ein gefährlicher blinder Fleck.
Conrad Kunze stellte daher die provokante Frage: Warum gibt es keine Gedenkzeichen an Autobahnraststätten, die an den Einsatz von Zwangsarbeit erinnern – so wie es in vielen Städten Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus gibt?
Widerstand von Anfang an
Auch in Frankfurt regte sich früh Widerstand: Zur feierlichen Eröffnung des Autobahnabschnitts 1935 sabotierten Aktivist*innen des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds (ISK) um Ludwig Gehm die NS-Inszenierung. Sie schnitten Lautsprecherkabel durch und brachten mit chemischen Mitteln Parolen wie „Hitler = Krieg“ und „Nieder mit Hitler“ auf Fahrbahn und Brücken an – unsichtbar bei Aufbringung, sichtbar im Sonnenlicht. Die Nazis versuchten, die Botschaften hastig zu überdecken. Doch der Widerstand war sichtbar, mutig und präzise geplant – ein seltenes Beispiel öffentlichen Widerspruchs mitten im NS-Staat. Daniela Mehler-Würzbach beleuchtete das ISK und seine Protagonisten und ging auch auf Ludwig Gehm ein, Widerstandskämpfer in der Zeit des Nationalsozialismus und Überlebender des KZ Buchenwald, der nach dem Krieg Mitbegründer der Frankfurter SPD war, 1958-1972, Mitglied der Stadtverordnetenversammlung und bis 1975 im Ortsbeirat 7 war, und bis ins hohe Alter Aufklärungsarbeit gegen Faschismus leistete.
An den Widerstand 1935 knüpft heute das Bündnis gegen den Ausbau der A5 an: Ihr Protestwochenende wurde bewusst vor den 90. Jahrestag der Aktion des ISK gelegt – als Akt des historischen Gedenkens und aktuellen Widerstands zugleich.
Autobahn, Männlichkeit, Moderne
Kunze beleuchtete zudem die kulturelle Dimension der Autobahn: Ihre Geschichte ist auch die Geschichte einer spezifisch männlichen Identitätskonstruktion – Geschwindigkeit, Kontrolle, Technikbegeisterung. Was einst die italienischen Futuristen prägte, zeigt sich heute in Gruppen wie den „Fridays for Hubraum“, die sich mit lautstarken PS-Boliden aggressiv gegen die Klimabewegung positionieren und dabei häufig mit misogynen Weltbildern auftreten.
Daniela Mehler-Würzbach: „Der Mythos Autobahn muss beerdigt werden“
Die Stadtverordnete der Fraktion Die Linke im Römer zog eine klare Linie von der Vergangenheit in die Gegenwart: „90 Jahre nach dem Beginn des Autobahn-Mythos ist es Zeit, diesen Mythos endgültig zu beerdigen!“
Der geplante Ausbau der A5 sei ein klimapolitisches Desaster. Statt immer neuer Fahrspuren brauche es eine konsequente Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und eine echte Mobilitätswende. Die LINKE fordert daher:
- ein Moratorium für Neu- und Ausbau von Bundesautobahnen,
- den Fokus auf Erhalt und Sanierung des bestehenden Netzes,
- und massive Investitionen in den Ausbau des Schienennetzes.
Der Widerstand gegen den zehnspurigen Ausbau der A5 ist notwendig – und verdient breite Unterstützung. Wer ernsthaft Klimaschutz will, setzt nicht auf mehr Asphalt, sondern auf die Schiene.