Die genannten Maßnahmen zur Bekämpfung sogenannter „Angsträume“ geht vielfach an der Realität des Gewaltgeschehens vorbei!

9. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 27. Januar 2022

 

Stadtverordnete Dr. Daniela Mehler-Würzbach, LINKE.:

Werte Kolleginnen und Kollegen,

werte Frau Vorsteherin!

Ein Antrag der CDU, die lange selbst den Sicherheitsdezernenten stellte. Sie haben gesehen, wer eben hier gesprochen hat. In der Vergangenheit waren auch Mittel zu diesem Thema im Haushalt bereitgestellt. Wir fragen uns: Was soll nun dieser neue Antrag, und warum greift er zu kurz? Ich mache heute etwas, das ich ungern tue, was aber nottut: ich belehre.

Im Kontext der zweiten Frauenbewegung entstand ab den späten 1970er‑Jahren eine feministische Stadtkritik. Vor allem die Diskussion sogenannter „Angsträume“ wurde zu einem Gründungsthema dieser feministisch-geografischen Forschung, indem sich die Analyse der eingeschränkten Bewegungsfreiheit und der Sicherheit von Frauen im urbanen Raum mit dem Anspruch einer geschlechtergerechten Stadtplanung verband. Natürlich herrscht heute breiter Konsens darüber, dass man keine dieser sogenannten „Angsträume“ will. Natürlich wollen wir alle Teilhabe und Mobilität. Bewegungsfreiheit von Menschen im öffentlichen Raum soll weder behindert noch eingeschränkt werden. Deswegen haben wir heute Diskurse um Barrierearmut und andere Dinge. Wir haben durch diese Debatten ohne Frage viel gelernt.

Die Diskussion um „Angsträume“ hat uns Frauenparkplätze, mehr beleuchtete Unterführungen und Plätze und eine Umgestaltung von Parks gebracht, die diese Bereiche für von Gewalt betroffene Personen sicherer machen sollen. Dagegen ist auch erst einmal nichts einzuwenden. Was aber zu kurz kommt, ist, dass die genannten Maßnahmen zur Bekämpfung sogenannter „Angsträume“ vielfach an der Realität des Gewaltgeschehens vorbeigehen.

Wer über „Angsträume“ spricht, der denkt nicht zuerst an den Roßmarkt, aber genau dort ereignete sich vor einer Woche ein versuchter Feminizid in Frankfurt. Aktivistinnen haben heute Abend am Ni-una-menos-Platz ihre Wut darüber ausgedrückt. Wer über „Angsträume“ spricht, denkt nicht zuerst an die eigene Wohnung, wo ein Großteil der Gewalt gegen Frauen und Kinder stattfindet. Kleine Fußnote: Damit sich Frauen vor Partnerschaftsgewalt und Feminiziden schützen können, müssen sie sich erst einmal von ihren Partnerinnen und Partnern trennen. Dafür brauchen sie Wohnungen, die sie sich leisten können. Deshalb: Schafft endlich bezahlbaren Wohnraum!

(Beifall)

Auch hat eine Propagierung der Gefährlichkeit öffentlicher Räume oft die nicht unerhebliche Folge, die Bewegungsfreiheit an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten zu kontrollieren und Menschen so aus dem öffentlichen Raum fernzuhalten. Da macht die CDU übrigens gerade mit, wenn sie Straftaten skandalisiert und betont, im schlimmsten Fall komme es in „Angsträumen“ zu Straftaten. Da machen nur nicht die Räume Angst, Sie tragen insbesondere dazu bei, übrigens auch mit den entsprechenden Bildern, die Sie zeichnen.

Nicht allein die Räume und deren Gestaltung machen sie angstbesetzt, sondern vor allem die Möglichkeit, Gewalt zu erfahren. Und lassen Sie es uns beim Namen nennen: Gewalt geht zum allergrößten Teil von Männern aus, wie vielfach statistisch belegt ist. Statt über Beleuchtung – die an vielen Orten eine gute Idee ist – zu sprechen, sollten wir die patriarchale Gewalt und die toxische Männlichkeit in den Fokus nehmen.

(Beifall)

Glauben Sie mir, ich würde mir wünschen, dass es zu deren Beseitigung mit Begrünung und Entdunklung getan wäre!

Die Frage nach (Un-)Sicherheit hatte ursprünglich eine emanzipatorische Aneignung der Stadt zum Ziel und hegte vor diesem Hintergrund die Hoffnung auf die Entwicklung neuer, gerechterer Formen des Städtischen. Heute zeigt sich, dass sich solche Hoffnungen nicht wirklich erfüllt haben. Die in der Angsträume-Ddebatte aufgeworfene Frage nach (Un-)Sicherheit hat ihr emanzipatorisches Potenzial verloren und wird fast ausschließlich, wie wir es eben gesehen haben, im Kontext der Kontrolle öffentlicher Räume diskutiert. Dabei hatte die ursprüngliche Intervention der feministischen Stadtkritik wirklich transformatives Potenzial. Ziel war und ist ein grundsätzlich anderer macht- und gesellschaftskritischer Entwurf des Urbanen, der eine Rückeroberung des öffentlichen Raumes und gesellschaftliche Demokratisierung umfasst.

Es darf also nicht um die Beseitigung von „Angsträumen“ gehen. Sondern um Safe Spaces überall – und zwar für alle.

(Beifall)

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