Geschlechtsspezifische Gewalt ist Ausdruck des Unterdrückungsmechanismus, mit dem das Patriarchat über Frauen herrscht

37. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 7. November 2019

Tagesordnungspunkt 8: Istanbul Konvention umsetzen

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Vielen Dank, Frau auf der Heide! Die nächste Wortmeldung ist von Frau Christann von der LINKEN. Bitte!

Stadtverordnete Monika Christann, LINKE.:

Achtung, Herr Siegler, hier kommt eine LINKE vom angeblichen Außenrand.

Herr Vorsteher,

werte Stadtverordnete!

Ich muss gleich noch vorwegschicken, Frau auf der Heide, der Vorbehalt Deutschlands steht nicht im Artikel 39, sondern im Artikel 59 Absatz zwei und drei.

(Beifall)

Nach einer Definition des Frauenhauskoordinierung e. V. „ist geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen eine Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, weil die Betroffenen weiblichen Geschlechts sind. Gemeint sind damit alle Handlungen, durch die Frauen körperliches, sexuelles oder psychisches Leid erfahren oder wirtschaftlich Schaden nehmen. Schon die Androhung von Gewalt zählt dazu, genauso wie Nötigung oder willkürliche Freiheitsentziehung, ganz gleich ob im öffentlichen Raum oder im Privatleben.“

Wir sollten uns bewusst sein, dass geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur Frauen und Mädchen betrifft, sondern dass sich diese auch gegen Menschen richtet, die sich nicht eindeutig zur Kategorie Frau zählen. Dies berücksichtigt die Instanbul-Konvention auch im Artikel 3. Wir sollten uns auch dessen bewusst sein, dass Gewalt, insbesondere die geschlechtsspezifische Gewalt, unabdingbar für das Weiterbestehen des Patriarchats ist. Sie ist Ausdruck des Unterdrückungsmechanismus, mit dem das Patriarchat über Frauen herrscht und die Ungleichheit aufrechterhält. Ohne die Ausbeutung der Sexualität von Frauen und Mädchen sowie der Kontrolle über die Fruchtbarkeit der Frauen, siehe §§ 218 und 219 StGB, und gleichzeitiger Ausübung von Gewalt hätten wir kein Patriarchat mehr, sondern eine gleichberechtigte Gesellschaft. Die Erkenntnis des ungleichen Machtverhältnisses zwischen Frauen und Männern ist in der Präambel der Istanbul-Konvention niedergelegt. Geschlechtsspezifische Gewalt wird als ein Hindernis auf dem Weg zu einer gleichgestellten Gesellschaft benannt. Außerdem identifiziert die Präambel diese Gewalt als schwere Menschenrechtsverletzung.

Ich frage mich, warum tut sich die Koalition so schwer damit, die Istanbul-Konvention – immerhin ist es ein Bundesgesetz – umzusetzen? Ist es etwa eine mangelnde Wertschätzung von Frauen? Wenn DIE LINKE nicht den entsprechenden Druck gemacht hätte, wäre hier überhaupt nichts passiert.

(Zurufe)

Das kann jeder nachlesen, der die Anträge ein bisschen verfolgt.

Ich möchte überhaupt nicht in Abrede stellen, dass die Stadt Frankfurt vor 30 Jahren vorbildlich das Frauenreferat ins Leben gerufen hat, das seitdem eine sehr gute Arbeit leistet. Vieles wurde schon getan. Was aber aktuell fehlt, ist die Umsetzung der weitreichenden Pflichtmaßnahmen aus der IK. Was vorher freiwillige Zuschüsse waren, ist nun Pflichtfinanzierung, und zwar in viel mehr Bereichen als bisher. Nach meinem Eindruck ist der Koalitionsantrag NR 984 ziemlich hektisch geschrieben worden und ist deswegen mangelhaft. Deswegen haben wir unseren Ergänzungsantrag NR 1011 gestellt. Ohne die Umsetzung der von uns geforderten Koordinierungsstelle und der unabhängig arbeitenden Monitoringstelle läuft der Antrag der Koalition sicher ins Leere, da beide Stellen fehlen und zudem keine Verantwortlichen benannt worden sind. Wohin sollen sich denn diejenigen wenden, die ihre Bestands- und Bedarfsdaten zur weiteren Veranlassung abgeben wollen? Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass für diese beiden umfangreichen Aufgaben auch genügend Personal zur Verfügung gestellt wird. Wir brauchen also als ersten Schritt die Koordinierungsstelle und die Verantwortlichkeit für die Sammlung der Daten für die Bestands- und vor allem für die Bedarfsanalyse inklusive Prävention, erweiterter Opferschutz und Aus- und Fortbildung betroffener Berufsgruppen. Und die Zeit drängt. Im Juni 2020 muss die Bundesregierung dem Europaratsgremium GREVIO ihren ersten Umsetzungsbericht abgeben, der auf den Daten der Länder und der Kommunen fußt.

Gleichzeitig muss die unabhängige Monitoringstelle eingerichtet werden. Auch die gewichtige Einbindung von Zivilgesellschaft und Nicht-Regierungsorganisationen ist keine freiwillige Maßnahme, sondern IK-Pflicht. Mehrere Organisationen fordern und begründen die unabhängig arbeitende Monitoringstelle. Das sind zum Beispiel die IK-Expertinnen des von der Bundesregierung geförderten Deutschen Instituts für Menschenrechte. Das sind aber auch die Beschlüsse aus den beiden letzten Konferenzen der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen und ‑senatorinnen der Länder 2018 und 2019. Sie sagen ganz deutlich zur Umsetzung der IK im Leitantrag, dass die Koordinierung klar entlang der IK ausgerichtet sein muss und dafür die Ressourcen bereitgestellt werden müssen, dass das Monitoring die Beobachtung umfasst, wie und mit welcher Wirksamkeit die politischen Ansätze und Maßnahmen die Ziele erreichen. Die getroffenen Maßnahmen sollen unter Mitwirkung ziviler Organisationen erforscht und evaluiert werden. Und ganz wichtig: „Menschenrechtliches und bewertendes Monitoring muss unabhängig sein. Dies ist bei der Umsetzung zu gewährleisten.“ Auch das bundesweite Bündnis Istanbul-Konvention verschiedener namhafter Frauenorganisationen erhebt diese Forderungen. Es herrscht also darüber große Einigkeit.

Ein anderer Mangel im Frankfurter Koalitionsantrag: Dieser enthält unter Punkt drei zwar die Identifizierung und Kennzeichnung der Schutzmaßnahmen, was aber fehlt, ist die Finanzierungsverpflichtung aus der IK, und damit die Konsequenz, dass die Maßnahmen im Haushalt definitiv einzustellen sind. Also jetzt bald. Zu bemängeln ist auch der Bezug auf das Darmstädter Modell, das ist ein bisschen schräg. Zum einen ist es ein völliges Unding, dass die Stadtverordneten der prinzipiellen Anwendung des Modells des Frauenbüros der Stadt Darmstadt zustimmen sollen, das sich aber erst im Entwicklungsstadium im ersten Entwurf befindet und bisher überhaupt noch nicht öffentlich zugänglich ist. Zum anderen sind die anders gelagerten Strukturen in Darmstadt nicht ohne Weiteres auf die Strukturen in Frankfurt zu übertragen. Gleichwohl kann der erste Entwurf aus Darmstadt als Orientierung dienen.

Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass der Ergänzungsantrag der LINKEN nicht weiter zurückgestellt wird, sondern die darin enthaltenen Maßnahmen sofort in die Haushaltspläne eingehen.

Danke schön!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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