Frankfurt als sicherer Hafen ist eine Frage der Menschlichkeit

26. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 23. August 2018

Tagesordnungspunkt 10: Frankfurt wird sicherer Hafen

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Müller von der LINKE.?Fraktion. Bitte schön!

Stadtverordneter Michael Müller, LINKE.:

Herr Vorsteher,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Mich beschleicht bei der Debatte ein bisschen, dass es uns scheinbar allen hier im Raum leichter fällt, uns in die Situation einer Touristin zu versetzen, die von einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer fällt. Die zehn Stunden im kalten Meer auf Rettung wartet und gerettet wird – wie die Kollegin der GRÃœNEN es auch in ihrer Rede gesagt hat – und es dann eine weltweite Meldung ist. Wir scheinen aber jegliche Empathie für die Abertausend Menschen, die jeden Tag versuchen, über das Mittelmeer zu kommen, verloren zu haben. Wir scheinen jegliche Empathie verloren zu haben für die über 1.500 …

(Zurufe)

Wir alle hier zusammen, wenn ich mir diese Debatte anhöre.

Wir scheinen die Empathie dafür verloren zu haben, dass bereits im Jahr 2018 bei dem Versuch, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, nach offiziellen Zahlen 1.500 Menschen ertrunken sind. Amnesty International geht davon aus, dass jeder siebte Mensch dabei stirbt, wenn er über das Mittelmeer kommt. Die anderen Routen erwähne ich jetzt gar nicht. Deswegen ist das eine Frage der Empathie. Ehrlich gesagt, manche Argumente haben mich verwundert. Ich bin sogar entsetzt, wie hier argumentiert wird. Zum Beispiel, lieber Kollege von der FDP, wenn Sie allen Ernstes glauben, dass unsere Initiative absurd ist. Dann würde ich Ihnen gerne einmal wünschen, dass Sie einer Person, die den Weg über das Mittelmeer und vielleicht in Frankfurt eine neue Heimat gefunden hat, sagen: Du hast es ja geschafft, aber der Antrag der LINKEN, dass wir uns als Stadt solidarisch zeigen und mehr tun, als möglich ist, ist absurd. Sie sind jegliche Argumentation schuldig geblieben. Außerdem hat mich die Aussage der SPD „Wir können nicht zusagen, was wir in der Realität nicht leisten können“, verwundert. Wie viel besser hätte es denn jeder Mensch, wenn er hier ankommt, als wenn er im Mittelmeer verreckt. Ich sage es einmal ganz deutlich, das ist doch eine Frage der Menschlichkeit, um die es da geht. Es hilft auch nichts, wenn Sie hier versuchen, unseren Antrag in kleinteiliger Argumentation zu zerlegen, und sagen, dass das nicht praktikabel sei. Was steht denn da eigentlich? Die Punkte eins, zwei und drei seien überhaupt nicht ersichtlich. Wenn Sie lesen können, dann wissen Sie, dass es klar ist, dass es eindeutig ist. Sie verstecken sich hinter einer fadenscheinigen Argumentation, nur um sich nicht selbst ins Gesicht zu sagen, dass es eigentlich eine unmenschliche Entscheidung ist, wenn wir so agieren, wie wir agieren. Das ist nicht redlich, was Sie machen.

(Beifall)

Ich frage die Sozialdezernentin. Ich bin sehr dankbar für Ihre offenen Worte. Die Oberbürgermeister der genannten Großstädte haben gesagt, unsere Städte können und wollen in Not geratene Flüchtlinge aufnehmen. Warum kann Frankfurt das nicht? Warum kann das eine Stadt, von der der Bürgermeister Becker in der vergangenen Debatte gesagt hat, sie sei offen, liberal und tolerant, nicht? Wo bleibt denn hier die Toleranz und die Mitmenschlichkeit, wenn man sich bei der Frage, wenn es konkret wird, Menschen zu retten oder ein Signal auszusenden, vielleicht sogar an die Bundesregierung, dann hinter Argumenten versteckt, die da lauten, wir können den Leuten vielleicht nicht mehr zumuten? Frau Dr. Birkenfeld, es gibt Menschen in dieser Stadt – ich bin Gott froh, dass es die gibt – die es nicht ertragen, wenn wir die Menschen nicht aufnehmen. Das ist auch Teil der Realität in Frankfurt. Es gibt also Menschen, die Sie scheinbar nicht kennen, die es unzumutbar finden, wenn sich Frankfurt aus einer humanen, ethischen Verantwortung stiehlt, indem man sagt, dass wir den Leuten nicht zumuten können, jetzt eine Turnhalle zu öffnen. Oh, der Sportverein hat Mitglieder verloren. Ist das allen Ernstes die Argumentation des Magistrats in dieser ethischen Frage? Ich werde pathetisch. Ich komme zurück auf die europäischen Wurzeln, auf die man sich besinnt. Der Kardinal Woelki aus Köln hat gesagt, er findet es einfach nur erbärmlich, wie hier agiert wird.

(Beifall)

Wo sind die europäischen Werte, auf die man sich beruft? Herr Becker, wo ist denn dieses Europa? Wo ist denn der Geist der Aufklärung und der Humanität, den man gerne bemüht in dieser Stadt? Wenn es dann um das Eingemachte geht, dann ducken Sie sich alle weg. Das ist falsch und skandalös ist es auch noch dazu. Deswegen sollten Sie noch einmal gut überlegen, ob Sie nicht doch in dieser Frage über Ihren Schatten springen. Warum schafft es denn Regensburg? Warum schafft es Köln? Warum schaffen es denn auch Städte, die einen CDU-Oberbürgermeister haben? Ja, es gibt auch noch soziale Christdemokraten in diesem Land. Warum schaffen wir es nicht als Stadt? Das finde ich falsch. Dann sollten Sie, wenn Sie das so durchgehen lassen, vielleicht einmal dieses große Schild an den Autobahnen abmontieren, auf dem Sie Frankfurt als europäische Stadt darstellen. Wenn Sie nicht in den Klub der europäischen Städte eintreten, die Solidarität leben, dann sollten Sie sich nicht permanent auf europäische Werte beziehen, sondern über unseren Antrag sachlich nachdenken. Da steht gar nicht so viel drin. Das ist nicht so schwierig, dem zuzustimmen. Ehrlich gesagt, Frau Dr. Birkenfeld, Sie haben Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zitiert. Ich danke ihnen jeden Tag, die machen Großartiges. Nur hilft es nicht zu sagen, die machen so viel und damit zu suggerieren, unser Antrag würde da irgendwie ein Problem darstellen. Ich glaube, die meisten, die jeden Tag mit Geflüchteten arbeiten, unterstützen sogar diesen Antrag, weil sie wahrscheinlich viel mehr Kontakt mit Geflüchteten haben wie wir alle und weil sie die Not der Menschen kennen. Von daher kann ich nur an Sie appellieren. Ãœberlegen Sie sich, Frau Dr. Birkenfeld, ob es nicht ein sinnvolleres Zeichen wäre, hier Empathie walten zu lassen. Es wurde viel über Sinnhaftigkeit in diesen Debatten geredet. Sinnvoll ist es meiner Meinung nach nicht, sich hier zu verstecken und zu sagen, die dummen LINKEN. haben wieder einen Antrag gestellt. Die FDP zum Beispiel macht das. Aber Ihre Argumente sind so was von rechts, dass ich mich damit gar nicht mehr beschäftigen will. Von daher sollten wir noch einmal alle gemeinsam nachdenken. Um Ihnen das Nachdenken zu erleichtern, fordern wir die namentliche Abstimmung über den Punkt 1. und die Abstimmung über die Punkte 2. und 3., also zwei namentliche Abstimmungen. Ich bitte Sie inständig, denken Sie noch einmal darüber nach. Imaginieren Sie doch einmal, wie es den Menschen geht, die fliehen. Sie haben ein bestimmtes Bild nicht vor Augen. Aber wenn man sich ein bisschen empathisch fühlt, kann man sich reinversetzen in die Menschen und kann vielleicht auch erkennen, wie viel Gutes in diesem Antrag steckt und was er ausdrücken kann und welches Signal er setzt – übrigens auch gegen die Rassisten da rechts senden kann. Wenn wir es ernst meinen mit dem Kampf gegen den Rassismus, sollte man diesem Antrag zustimmen.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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