Bei Ihnen bedeutet Hilfe für Drogenkranke eher Repression

48. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 1. Oktober 2020

Tagesordnungspunkt 6: Sauberkeit und Sicherheit im Bahnhofsviertel

Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin Erika Pfreundschuh:

Danke schön, Frau Ross! Das Wort hat nun Frau Pauli von der LINKEN., danach Herr Dr. Schulz von der FDP. Bitte schön!

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

Sehr geehrte Frau Vorsteherin,

sehr geehrte Damen und Herren!

Bevor ich zum Thema komme, gestatten Sie mir doch bitte ein paar Anmerkungen zum Kollegen Oesterling. Ihre putzige Performance, Herr Oesterling, die Sie vorhin hier abgeliefert haben, hat ziemlich deutlich gemacht, dass Sie scheinbar Ihrem Amt als Fraktionsvorsitzender sehr nachtrauern, denn Sie haben sich hier nicht als Dezernent inhaltlich hauptsächlich zu Wort gemeldet, sondern eher in der Manier früherer Etatreden, wo Sie sich, und andere im Haus auch, stundenlang inszeniert haben. Sie haben sich an einzelnen Stadtverordneten abgearbeitet und haben unseren Genossen Bodo Ramelow als Kommunisten bezeichnet. Das ist ihm in unserer Partei noch nie passiert. Ich werde es ihm erzählen, er wird sicher total erheitert sein.

(Beifall)

So, dann zu Frau David. Sie haben geschildert, Sie seien durch das Bahnhofsviertel gefahren, Sie sind nach Zürich gefahren, in vielen anderen Städten haben Sie sich viel angeguckt und haben unter anderem hier vorgetragen, wie schön Sie das fanden, dass in Zürich die Straßen sauber und leer waren und keine drogenkranken Menschen in ihrem Elend zu sehen waren. Natürlich ist das schön, wenn man das nicht sehen muss, aber wenn das nur heißt, dass sie irgendwo anders sind und ihnen nicht grundsätzlich geholfen wird, bringt das nicht viel. Ich sehe das ganz oft. Unsere Stiftung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung, hat ihr Büro in der Niddastraße und ich bin da ein paar Mal in der Woche, komme immer an den Räumen vorbei und suche auch immer mal ein bisschen das Gespräch, soweit es geht. Sie können sich, wenn Sie einmal aus dem Auto aussteigen und nicht nur durch das Bahnhofsviertel fahren lassen, in Frankfurt vor Ort anschauen, was los ist. Wenn Sie dann so gute Rezepte aus Zürich und sonst woher mitbringen, brauchen Sie eigentlich nur die Fachleute in Frankfurt zu fragen, denn die gibt es und die haben viel Ahnung. Sie haben viel Kompetenz und die sagen schon seit Jahren woran es in Frankfurt hapert und was besser gemacht werden muss.

(Beifall)

Eine Zahl hat Frau Ross eben genannt. Wir haben in Frankfurt ungefähr 5.000 schwerst abhängige Drogenkranke. In Zürich haben wir 950. In Zürich gibt es drei Räumlichkeiten, die dafür zuständig sind und in Frankfurt vier. Nach Adam Riese, wenn Sie bisschen Arithmetik betreiben, kommt in Zürich auf 320 Kranke ein Raum. In Frankfurt sieht das Verhältnis ganz anders aus. Wenn wir diesen Züricher Standard haben wollen und wenn wir damit dann auch die Menschen von der Straße wegbringen und in gute Unterkünfte bringen wollen, dann bräuchten wir theoretisch zwölf bis dreizehn Räumlichkeiten oder Institutionen, die für eine Aufnahme bereitstehen. Da bin ich einmal gespannt, ob Sie das auf den Weg bringen und ob Sie dann auch die Gelder dafür bereitstellen.

(Beifall)

Dass in Frankfurt die Kapazitäten schon vor Corona viel zu gering waren, sagen Ihnen die Menschen aus der Drogenhilfe und die anderen Aktivisten vor Ort schon seit geraumer Zeit. Durch Corona ist das natürlich schlimmer geworden, weil die Institutionen ihre Angebote aus Hygienegründen reduzieren mussten. Das hat Obdachlose, das hat Drogenkranke dazu gebracht, sich vor den Räumlichkeiten aufzuhalten, auch länger.

Das betrifft auch eine andere Klientel, die sich im Bahnhofsviertel viel aufhält, nämlich die südosteuropäischen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter, die ebenfalls von der Coronakrise stark betroffen waren, die auch keine Möglichkeiten hatten, irgendwo unterzukommen. Vor allem weil Sie sich ja seit Jahren beharrlich weigern, unserem Vorschlag nach einer einfachen kommunalen Herberge für diese Leute nachzukommen.

Wie gesagt, die Drogenhilfe und andere Akteure weisen seit Jahren auf die Mängel hin. Sie haben immer einmal wieder ins Gespräch gebracht, was gebraucht wird. Einiges ist heute Abend angesprochen worden. Was in diesem Zusammenhang, dank der Diskussion zum Bahnhofsviertel aufkommt, ist, dass bei der CDU in Vorwahlkampfzeiten immer dieser furchtbare Zwang nach Sicherheit und Ordnungsthemen aufkommt, weil Sie glauben, dass sich ihre Klientel davon noch wirklich beeindrucken lässt. Ich bin mir dabei nicht mehr so sicher, ob das auch wirklich so der Fall ist, denn im Moment sieht es in Frankfurt für Sie, meiner Einschätzung nach, nicht sehr gut aus. Wenn Sie von freien Straßen reden, Frau David, glaube ich Ihnen persönlich das. Im Großen und Ganzen bin ich doch der Ansicht, dass bei Ihnen Drogenhilfe oder die Hilfe für Drogenkranke eher Repression heißt.

(Zurufe)

Ich habe gesagt, Ihnen persönlich nehme ich das ab, aber Ihrer Partei als Ganzes nicht. Aber wir werden es ja sehen. Und Sie haben ja auch vor allem einen Koalitionspartner, nämlich die GRÜNEN, die in der Drogenpolitik durchaus einmal progressiv waren. Leider muss ich feststellen, dass ich mir hier eine sehr viel energischere Positionierung Ihrerseits, was das Bahnhofsviertel anbelangt, gewünscht hätte. Früher gab es mal einen deutlichen Unterschied zwischen den Konservativen und euch GRÜNEN. Heute leider kaum noch. Es ist alles verschwommen. Heute bilden die GRÜNEN in Frankfurt eine tragende Säule des Konservativismus. Das find ich nicht gut und ich hoffe, dass sich das nicht auf die Frankfurter Drogenpolitik auswirkt und das eine oder andere Argument des heutigen Abends nur schon die Einleitung von Rückzugsgefechten ist.

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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