Interfraktionelle Erklärung zum Antrag NR 74/21 der Fraktion „Die Fraktion“

Auf Grund der frauenverachtenden Inhalte des Antrags NR 74 von der Frankfurter Fraktion „Die Fraktion“ haben Frauen* der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung eine „Interfraktionelle Erklärung“ verfasst, welche am 23.09.2021 in der Stadtverordnetenversammlung verlesen wurde. Die Erklärung wurde von folgenden, kompletten Fraktionen (mit einer Ausnahme bei der CDU) unterschrieben: Linke, Grüne, SPD, FDP, Volt, CDU. Das sind 77 Stadtverordnete von 93. Die beiden rechten Parteien AfD und BFF-BIG wurden nicht gefragt.

Die unterzeichnenden Frauen verschiedener Fraktionen erklären in der Stadtverordnetenversammlung am 23.09.2021:

Wir wenden uns entschieden gegen die frauenverachtenden Inhalte des Antrags NR 74 der „Fraktion“ zum Thema „kostenfreie Menstruationshygieneartikel“. Wir fordern alle Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung auf, zukünftig solche Frauenverachtung in Anträgen oder Wortbeiträgen zu unterlassen.

Satire kann ein geeignetes politisches Mittel sein, wenn sie sich gegen Mächtige richtet, die es in der Hand haben, einen unhaltbaren Zustand zu beenden, den sie gegebenenfalls mit verursacht haben. Auf den Inhalt des Antrags NR 74 trifft dies nicht zu.

Der Antragstext enthält den Vorschlag, Tampons in Geldscheine einzurollen, um den „Gender Pay Gap“ abzuschaffen. Für gleiche oder gleichwertige Arbeit besteht auch in Frankfurt am Main immer noch eine Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen von mehr als 19 Prozent. Das führt in vielen Fällen zur Altersarmut von Frauen. Ein Skandal und kein Witz!

Die antragstellenden Fraktionsmitglieder zeigen mit diesem Vorschlag, dass sie nicht verstanden haben, worum es bei Geschlechtergerechtigkeit geht.

Die Situation von Mädchen und Frauen, die unter dem Mangel an kostenlosen Monatshygieneartikeln leiden, wird hier von Angehörigen einer privilegierten Gruppe – den Mitgliedern dieser rein männlichen Fraktion – auf geschmacklose Weise „auf die Schippe genommen“. Das ist keine politische Satire, sondern Frauenverachtung!

Es ist eine Tatsache, dass es im reichen Deutschland viele Mädchen und Frauen gibt, deren Elternhaus so arm ist, dass sie sich keine Monatshygieneartikel leisten können, sogenannte „Periodenarmut“. Hinzu kommt, dass mangels der Verfügbarkeit der Monatshygieneartikel eine Scham der betroffenen Mädchen und Frauen existiert, die sie für viele Tage im Jahr daran hindert, am Unterricht teilzunehmen und zu Bildungslücken führen kann. Damit sind die betroffenen Mädchen und Frauen an der vollständigen Bildungsteilhabe gehindert. Die weiterhin existierende Tabuisierung der Periode tut ihr Übriges.

Die theoretische Erwägung in der Antragsbegründung, dass eine generelle und kostenlose Uterusentfernung das Problem lösen könnte, beinhaltet die gedankliche Einbeziehung einer Körperverletzung von Frauen. Schon alleine im Hinblick auf die nationalsozialistische Vergangenheit mit ihren zahlreichen Zwangssterilisationen ist dieser Gedankengang verwerflich. Eine Uterusentfernung – aus welchen Gründen auch immer – kann kein Inhalt sein, über den man sich lustig machen kann.

Diese in einen Antrag gegossene Frauenverachtung ist für eine demokratische Institution wie unser Parlament untragbar!

Wir Frauen unterschiedlicher Fraktionen wehren uns gegen solche sexistischen und frauenverachtenden Beiträge, sei es von der Fraktion „Die Fraktion“, anderen Fraktionen oder einzelnen Stadtverordneten, Dezernats- oder Magistratsmitgliedern.

Frauen- und Menschenverachtung darf hier keinen Platz haben!

Unterzeichnet von Frauen* und solidarischen Männern* der Fraktionen Linke, Grüne, SPD, FDP, VOLT und CDU

Fußnote: Die Darstellung der Menstruation als eine Erfahrung, die ausschließlich Frauen erleben, ist nicht vollständig. Auch Trans-, non-binäre oder geschlechtsneutrale Personen können monatlich bluten. Geschlechtsneutrale Formulierungen, wie im vorgelegten Antrag gewählt, sind allerdings oft nicht präzise und verschleiern ihrerseits wie hier reale Diskriminierungserfahrungen wie z. B. der hier angesprochene Gender Pay Gap. Auf Grund dessen sprechen wir in diesem Text von Frauen.

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