Wenn wir Rassismus nicht beim Namen nennen, wie können wir ihn bekämpfen?

40. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 27. Februar 2020

Tagesordnungspunkt 5: Entsetzen über Gewalt in Hanau – Konsens der Demokratinnen und Demokraten

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Vielen Dank, Herr Medoff! Die nächste Wortmeldung ist von Frau Hahn von der LINKEN. Bitte!

Stadtverordnete Pearl Hahn, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,

liebe Menschen!

Es ist gut und wichtig, dass sich alle demokratischen Kräfte zusammentun und ein Zeichen gegen Rassismus, antimuslimischen Rassismus, Antiziganismus und alle Formen von Diskriminierungen, Hass, rechte Hetze und Rechtsterrorismus setzen. DIE LINKE wird der eingebrachten Resolution zustimmen. Wir sind aber der Meinung, dass die Bekämpfung von Rechtsterrorismus konkreter Maßnahmen und Erkenntnisse bedarf. Diese haben wir in einem Hierzu-Antrag mit dem Titel: „Rassismus erkennen und bekämpfen“ eingebracht. Wer Rassismus nicht erkennt, kann ihn auch nicht bekämpfen. Der Weg zu Bluttaten wie in Hanau beginnt mit Rassismus im Alltag, mit unserer Sprache. Alltagsrassismus muss ernst genommen werden. Wie wir unsere Sprache nutzen, muss ernst genommen werden und nicht als Lappalie oder Ãœberempfindlichkeit von Betroffenen abgetan werden. Ich erinnere Sie alle an die Debatte hier über die Mohren-Apotheke, in der die Sichtweise von Betroffenen nicht ernst genommen wurde. Und das passiert immer wieder. Struwwelpeter – es gab Betroffene, die meinten: „Na ja, da müsste man etwas ändern“. Oder in unseren Schulbüchern – immer wieder kommen migrantische Organisationen und sagen: „Wir müssen auf unsere Sprache achten“, und dies wird nicht ernst genommen. Politik, Justiz und Polizei müssen endlich die Perspektiven von Betroffenen ernst nehmen und dementsprechend handeln.

Wir fordern deswegen in unserem Antrag den Aktionsplan Antirassismus mit einem Solidarfonds für Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Wir fordern dauerhafte Unterstützung und finanzielle Unterstützung von Initiativen von und für Betroffene von rassistischer Gewalt. Wir fordern unabhängige Meldestellen – dies haben wir hier mehrfach schon gefordert – für Opfer rassistischer und rechter Gewalt, eine Ãœberprüfung von privatem Waffenbesitz. Wir fordern eine konsequente Strafverfolgung und konsequente Untersuchung von rechtsextremen Einstellungen in allen städtischen Institutionen. Der Weg zu schrecklichen Bluttaten wie in Hanau beginnt mit Rassismus im Alltag, mit unserer Sprache; natürlich auch mit sozioökonomischer und politischer Ausgrenzung von minorisierten Menschen. Wer hat denn ein Wahlrecht hier in Frankfurt? Das sind die Fragen, die wir uns doch stellen müssen. Ich will, dass diese Gesellschaft frei von Rassismus wird, in allen Ausprägungen, und nicht nur frei von rechtsextremem Terrorismus. Damit uns dieser Abbau von Rassismus gelingt, müssen wir ihn zuerst erkennen. Wir müssen erkennen, dass er strukturell ist. Wir müssen erkennen, dass es in dieser Gesellschaft eine Sprache gibt, die nicht in Ordnung ist, dass Rassismus in unserer Sprache verankert ist. Wir müssen erkennen, was Rassismus ist, wie er aussieht und dann erst können wir ihn an den Wurzeln packen und aus dieser Gesellschaft verbannen. Wer das Problem nur am rechten Rand sucht, merkt nicht, wie alte Begriffe sich bereits in der Mitte der Gesellschaft wiederfinden.

Herr Medoff hat es ja ganz schön gesagt: „Mitbürger“. In der Resolution wird von anwachsendem Hass gegen einzelne Volks- und Religionsgruppen gesprochen. Wieso nicht Mitbürger, wieso nicht andere Begriffe? Das Wort Volk, welches im Antrag genutzt wurde, hat eine bestimmte Geschichte. Es ist mit einer Ideologie der Rassenzugehörigkeit verknüpft. Und wir alle wissen, wo genau das hingeführt hat. Sprache hat Macht. Wer Menschen in Völker aufteilt, definiert ein „wir“ und ein „ihr“. Und das ist gefährlich. Frankfurt ist eine vielfältige Gesellschaft, Hanau ist eine vielfältige Gesellschaft, Deutschland ist eine vielfältige Gesellschaft mit vielen verschiedenen Menschen, mit vielen verschiedenen Biografien und Identitäten. Und genau das wird hier immer wieder gesagt, wenn es um das Positive geht. Diese Vielfalt muss aber benannt werden. Sie sind sehr schnell, diese Vielfalt immer im Positiven zu nennen und zu erwähnen; diese Resolution wird aber dieser Vielfalt und diesen Erfahrungen nicht gerecht.

Erfahrungen von Migranten, wenn wir über Racial Profiling sprechen – wer nimmt sie hier ernst? Das haben wir so oft angesprochen. Sogar die United Nations haben gesagt, dass Deutschland ein Problem mit Racial Profiling hat. Betroffene berichten davon. Aber dann sind wir hier und ich höre: „Ja, DIE LINKE hat ein Problem mit der Polizei.“ Nein, wir reden über ganz, ganz konkrete Sachen. Was in Hanau passiert ist, war eine Gewalttat – ja. Es war aber auch Rechtsterrorismus und das wird so im Antrag nicht gesagt. Und ja, es war motiviert von antimuslimischem Rassismus, das wird auch so nicht im Antrag genannt. Wenn wir es nicht beim Namen nennen, wie können wir es bekämpfen? Und wenn wir es nicht benennen können, können wir es nicht bekämpfen. Und dann verliere ich die Hoffnung, wie wir überhaupt Lösungsansätze erarbeiten und diese Lösungsansätze adäquat einsetzen können in dieser Gesellschaft. Nun ein paar Sachen zu dem, was vorhin alles gesagt wurde. Vorhin wurde von Herrn Wehnemann gesagt: „Rassismus ist mitten in der Gesellschaft.“ Aber das war es schon immer. Deutschland hat nie die Vergangenheit aufgearbeitet. Der Nationalsozialismus wurde nie aufgearbeitet. Herr Ochs hat ganz passenderweise gesagt, dass es Kontinuitäten gibt. Ich gebe ihm vollkommen recht. Es gibt Kontinuitäten, auch wenn wir Artikel 3 anschauen, den am Anfang der Sitzung Herr Siegler genannt hat, in diesem wird Rasse als Begriff genutzt. Volk und Rasse sind miteinander verknüpft. Und die Wissenschaft hat doch schon so oft gesagt, dass es Rasse nicht gibt. Es gibt eine Rasse, die menschliche Rasse.

(Beifall)

Das heißt, es gibt Kontinuitäten, die sind strukturell, die sind in unseren Gesetzen verankert, die sind alle in unseren Institutionen verankert. Und wenn Sie ein Problem damit haben, dann haben Sie wirklich das Problem nicht erkannt. Frau Busch, Sie haben gesagt: „sicher fühlen“ – ja, es stimmt. Ein Gefühl der Unsicherheit existiert und die breitet sich aus in migrantischen Gruppen. Aber dieses Gefühl gab es schon die ganze Zeit. Wann haben wir uns sicher gefühlt? Wir Migranten reden doch seit zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren, bevor es überhaupt eine AfD gab, dass es uns hier nicht gutgeht, dass wir immer komische Fragen gestellt bekommen, dass der Zugang zu Bildung schwer ist. Das Gefühl von Sicherheit war schon lange davor auch nicht vorhanden. Und deswegen bin ich der Meinung, dass wir das Problem wirklich an den Wurzeln anpacken müssen. Wir müssen nicht so tun, als ob da das Problem gerade anfing. Es geht darum: Wer hat Macht? Wer hat Wahlrecht? Wer hat Zugang zu Bildung? Wie wird Sprache genutzt? Wie wird über andere Menschen gesprochen? Da geht es doch los. Und ich habe das Gefühl, dass die meisten Menschen hier im Raum es nicht wirklich verstanden haben. Und jetzt zum letzten Punkt, Herr Kößler, unverschämt. Es ist unverschämt, was Sie vorhin gesagt haben.

(Beifall)

Nachdem eine Frau Ayyildiz hier steht und aus einer betroffenen Perspektive redet, nachdem es eigentlich ganz klar ist, dass DIE LINKE antifaschistisch ist, dass Migrantinnen Teil der LINKE sind, zum Beispiel ich. Dann kommen Sie hierher und reden vom Links-Rechts-Vergleich. Ich rede jetzt nicht über Ihre politische Einstellung, sondern es geht darum, wie Sie moralisch handeln. Nachdem Merve Ayyildiz so eine Rede gehalten hat, ist es moralisch einfach total verwerflich, dass Sie hierherkommen und so etwas sagen. Wenn wir darüber reden, was in Hanau passiert ist, ist ein Links-Rechts-Vergleich total unangebracht. Bleiben Sie doch beim Thema. Ging es um linken Terror? Nein! Bleiben Sie doch bitte beim Thema. Es ging um rechten Terror. Und ein Vergleich war total unangebracht. Zuhören! Sie sollten auch zuhören!

(Zurufe)

Und das ist jetzt das Letzte, was ich sagen werde.

(Beifall)

Ich hoffe, dass wir in Zukunft ein bisschen emotionale Kompetenz hier aufweisen, weil mir das oft fehlt – viel, viel zu oft.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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