Integration durch Bildung ist ein Wunschdenken

38. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 12. Dezember 2019

Aktuelle Stunde zu Frage NR. 2223: Stimmt der Magistrat der Auffassung zu, dass ein eigener Integrationsausschuss die Diskussion um den Stand der Integration vorantreiben würde?

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Die nächste Wortmeldung ist von Frau Ayyildiz von der LINKEN. Bitte!

Stadtverordnete Merve Ayyildiz, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher!

Als LINKE-Fraktion unterstützen wir Herrn Brillante in der Benennung des Missstandes, den sogenannten Integrationsausschuss mit dem Bildungsausschuss zusammenzulegen. Sofern ich mich erinnern kann, wurde die Zusammenlegung inhaltlich begründet, dass Bildung ein Schlüssel zur Integration sei, und es deswegen sinnvoll wäre, beide Themen in einen Ausschuss zu fassen. Der erwünschte Mehrwert blieb jedoch aus. Integration durch Bildung mit zu bearbeiten ist ein Wunschdenken, das die Realität verfehlt. Es suggeriert ein Verständnis von Integration, dass marginalisierte Frankfurterinnen und Frankfurter sowie Neu-Frankfurterinnen und Neu-Frankfurter durch entsprechende Bildung ein Leben auf Augenhöhe führen könnten, dass sie in puncto Bildung defizitär seien und sich noch weiterbilden müssten, um sich der Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Die Strukturen der Mehrheitsgesellschaft forcieren einen als nicht zugehörig markierten Menschen jedoch in den Niedriglohnsektor, zu niedrigen Bildungsabschlüssen, zu wenig Aufstiegschancen. Marginalisierte Menschen müssen feststellen, dass die Strukturen der Mehrheitsgesellschaft nicht für sie geschaffen sind. Wie in dem Vortrag der Feierlichkeiten zum 30-jährigen Bestehen des AmkA erläutert, werden die diskriminierenden Strukturen umso spürbarer, je höher Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund durch ihren Bildungsweg aufsteigen.

Betrachten wir nun den Ausschuss, so greifen also weder Titel noch der Inhalt der Tagesordnung das auf, was der Diversität der Stadt gerecht werden könnte, geschweige denn, die Diversität der Hälfte der Bevölkerung anerkennt und als nicht defizitär markiert. Die Mehrsprachigkeit, die Mehrfachzugehörigkeit und die Hybridität des Zwischen-den-Kulturen-Lebens erfahren sie stets als ein Nichtpassen in die Einfachheit der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Dabei mangelt es der Mehrheitsgesellschaft an inklusiven Strukturen, die allein gleichermaßen ein Leben in Würde, frei von Diskriminierung, ermöglichen könnten. Der Trugschluss von Integration durch Bildung, mit dem die Stadt also ihre Alibipolitik betreiben möchte, verleugnet die Diskriminierung und manifestiert das Integrationsverständnis als Assimilation. Würden wir den Ausschuss umbenennen in Ausschuss für mangelnde Betreuungsquoten, Sanierungsstau an Schulen und Modulbauweise, wäre dies zutreffender. Teilhabe aller in dieser Stadt lebenden Menschen findet dort nämlich kaum Platz, als in Form von Terminkalendervorstellungen der Doppeldezernentin, die sich offensichtlich nicht darüber im Klaren ist, dass die Ausschussmitglieder ihre Mittwochspost durchlesen und bei Terminen anwesend sind.

Das Ziel eines solchen Ausschusses sollte in dem Aufbau inklusiver Strukturen liegen, sodass in der logischen Konsequenz der Ausschuss geteilt und umbenannt werden müsste. Auch die Dezernentin kann leider beiden großen Bereichen nicht gerecht werden. Daher fordern wir immer noch ein eigenständiges hauptamtliches Dezernat für Inklusion und Partizipation, das die ungeteilte Aufmerksamkeit erhält, die es benötigt – losgelöst von der Bildungsdezernentin.

Danke schön!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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