Es gibt keine Linksextremen bei der Polizei

30. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 31. Januar 2019

Tagesordnungspunkt 9: Strukturwandel bei Umgang mit Extremismus in Frankfurter Behörden

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kliehm von der LINKEN. Sie haben noch neun Minuten Restredezeit. Bitte!

Stadtverordneter Martin Kliehm, LINKE.:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ein Ding, das wir uns angewöhnen müssen – auch Herr Dr. Schulz – wäre, nicht mehr antisemitische Sprüche zu reproduzieren, im Ãœbrigen auch nicht diese Sprüche der AfD zu reproduzieren. Es genügt, wenn wir uns die anhören müssen, aber wir müssen sie hier nicht auch noch wiederholen. Ansonsten war das ein klassisches Derailing.

Wir sprechen hier gerade über ein Neonazi-Netzwerk bei der Polizei. Sie schaffen es, Herr Dr. Schulz, zu derailen von rechtsextremen Polizisten auf extremistische Islamisten. Das ist schon eine Leistung. Herr Dr. Schmitt steht dem in nichts nach und schafft es, anstelle des strukturellen Problems bei der Polizei über die historische Geschichte der Linkspartei zu reden. Wenn wir sagen, es gibt Rechtsextreme bei der Polizei, dann hätten Sie doch normalerweise gesagt: „Aber die Linksextremen!“ Sie müssen sich einmal überlegen, warum Sie das nicht sagen können. Es gibt nämlich keine Linksextremen bei der Polizei.

Die Frankfurter Rundschau titelte im Januar: Polizisten haben häufig rechte Weltbilder. Dort gibt es ein Interview mit dem Philosophen Daniel Loick, in dem er explizit betont, dass es gar nicht darum geht, eine pauschale Verurteilung von Polizistinnen und Polizisten zu treffen, sondern er sagt, dass es doch die Frage ist, wie sich derartige Positionen jahrelang kultivieren konnten. Das ist doch das Problem!

Dann müssen Sie gar nicht weit gehen, hören Sie sich einmal die Pressemitteilung der Deutschen Polizeigewerkschaft an. Da weist dieser Philosoph zu Recht darauf hin, dass, wenn man sich zum Beispiel die Deutsche Polizeigewerkschaft anschaut, diese regelmäßig von Staatsversagen bei der Vollstreckung von Abschiebungen und dem Kontrollverlust bei der Zuwanderung spricht. Da müssen Sie sich doch nur einmal anhören, was Herr Wendt immer sagt. Dann fährt er fort: „Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich vorzustellen, wie Beamte, die so etwas denken, im Alltag auf der Straße mit Sinti und Roma sowie mit Geflüchteten umgehen.“ Das ist das Problem!

Wir haben hier nur die Spitze des Eisbergs vorliegen. Es sind längst mehr als Verdachtsfälle. Ja, es wird gerade noch ermittelt. Es waren sechs Beamte in einer WhatsApp-Gruppe, die Hakenkreuzbilder ausgetauscht und Behinderte diskriminiert haben. Das ist schon schlimm genug. Sie schweigen und es wird nie aufgeklärt werden, wer diese Faxe verschickt hat, wenn sie weiterhin schweigen. Das ist das Problem!

Aber, das ist nur die Spitze des Eisbergs. Ich will Ihnen verdeutlichen, warum. Der Hessische Rundfunk schreibt gestern, dass es alleine im Jahr 2018 180 Fälle bei der hessischen Polizei gab, dass unbefugt auf Dienstcomputer zugegriffen wurde, um persönliche Daten abzufragen. Da geht es jetzt nicht nur darum, dass die Anwältin Basay-Yildiz auf einmal ein Fax mit persönlichen Daten bekommen hat. Da gibt es ganz alltägliche Dinge. Jemand möchte eine Wohnung mieten und bekommt vom Vermieter zu hören, dass er einmal polizeilich aufgefallen ist und das Führungszeugnis nicht in Ordnung sei. Oder eine junge Frau geht zur Polizei, um eine Anzeige zu erstatten und stellt später fest, dass sie von einem Polizisten angerufen wird, weil er sich in sie verliebt hat. Wie romantisch. So etwas nennt man Stalking. So etwas passierte im Jahr 2018 alleine 180?mal in Hessen, wo doch jeder Polizist – Herr Siegler, Sie müssen es bestätigen – weiß, dass dies disziplinarische wie auch strafrechtliche Folgen haben kann.

Warum machen das also 180 Polizistinnen und Polizisten alleine in einem Jahr in Hessen? Weil sie sich sicher sein können, dass das nicht verfolgt wird. Das ist jetzt bei Stichproben aufgefallen. Aber wir reden von weit mehr als Verdachtsfällen, wenn gesagt wird, dass im Dezember diese zwei Hausdurchsuchungen in Kirtorf stattfanden und sich bei einem Polizisten ein ganzes Museum von Neonazi-Ausstellungsstücken und Hakenkreuzen befindet. Da kann ich doch nicht mehr von Verdachtsfällen reden. Das sind dieselben Polizisten, die übrigens besoffen mit Hitlergrüßen bei dem Dorffest in Kirtorf aufgefallen sind. Kirtorf war heute übrigens auch in der Presse, weil ein Landwirt mit Dung ein Hakenkreuz auf den Acker gesprüht hat. Was geht denn in diesem Dorf ab?

(Zurufe)

Aber die Polizei hat ihn immerhin dazu genötigt, dieses Hakenkreuz wieder zu entfernen. Selbst in einem Interview mit dem Vorsitzenden der hessischen Deutschen Polizeigewerkschaft sagte dieser: „Sie haben recht, man muss sich fragen, warum das im 1. Revier in Frankfurt nicht passiert ist, dass nämlich der Vorgesetzte oder andere, die mit in dieser Dienstgruppe waren, das angezeigt hätten.“ Schön, dass wir diese von Herrn Siegler eingewandten Strukturen haben, aber sie werden doch offenbar nicht genutzt oder nicht genügend genutzt.

Wir reden jetzt hier gerade nur von Todesdrohungen gegen eine Frankfurter Anwältin. Wie oft war ich – auch bei Blockupy übrigens – als parlamentarischer Beobachter und habe gesehen, dass Polizeigewalt zum Teil auch gegen vollkommen Unbeteiligte ausgeübt wurde. Es ist eher die Seltenheit, dass einmal jemand wie in Berlin den Mut und das Rückgrat hat, seine gewalttätigen Kolleginnen und Kollegen anzuzeigen. Das ist eher die Ausnahme. Wie oft hören wir von irgendwelchen Gerichtsverfahren, dass sie sich gegenseitig decken. Genau dagegen müssen wir angehen!

Der erste Schritt, das anzuerkennen, ist zu erkennen, dass wir ein gesellschaftliches Problem mit Rassismus haben. Herr Tschierschke hat es vorhin gesagt: Niemand von uns ist frei von Vorurteilen. Warum sollte es die Polizei sein? Aber die Polizei hat eine besondere Verantwortung. Zum einen haben wir nur diese eine Polizei, das muss selbst ich als Linker anerkennen. Wir haben keine andere Polizei und können sie nicht der AfD überlassen. Nicht nur in Thüringen bewerben sich drei Polizisten auf Landtagspositionen. Wir haben auch in Hessen zwei Polizisten in der AfD-Fraktion und von denen wird momentan noch nicht erwartet, dass sie sich vom Thüringer Höcke-Flügel distanzieren.

Wir haben ein Problem in der Polizei. Wir haben keine unabhängige Meldestelle. Wenn die hessische Polizei oder das Land Hessen das nicht schaffen, dann macht das eben die Stadt Frankfurt. Das steht in unserem Antrag.

Wir haben das offensichtliche Problem mit der eigenen Überhöhung, mit dieser Cop Culture. Das geht damit einher, wenn man sich selbst überhöht, wenn man glaubt, man ist der Held und alle anderen sind nur noch Dealer. Das geht damit einher, dass Minderheiten abgewertet werden. Das geht in diesem Beruf einfach nicht. Ich erwarte von Menschen, dass sie professionell arbeiten. Das gilt für jeden Fritten-Verkäufer und das erwarte ich noch viel mehr von der Polizei.

Am Ende müssen wir uns fragen – deswegen möchten wir den Polizeipräsidenten auch im Ausschuss für Recht, Verwaltung und Sicherheit hören -, was die Frankfurter Polizei gegen diese rassistischen Strukturen macht, die nun einmal vorhanden sind. Damit muss man sich auseinandersetzen. Da lese ich zum Beispiel, dass der Ortsbeirat kürzlich das 12. Revier besucht hat. Am Ende dieses Besuches wurde der Revierleiter gefragt, was er denn zu den Neonazis im 1. Revier sagt. Dann heißt es weiter, er wiegelte zuerst irritiert ab, auf Nachfrage fügte er jedoch hinzu, dass es auch an die Adresse des 12. Reviers die interne Aufforderung gegeben habe, noch einmal genauer nachzuschauen, ob man vielleicht irgendwo etwas übersehen haben könnte. Es tut mir leid, das ist für mich kein konsequentes Durchgreifen gegen Neonazi?Netzwerke!

Wir sind da auch nicht alleine.

Es gibt jetzt eine Frankfurter Erklärung, unterzeichnet von der Bildungsstätte Anne Frank, vom Bundesverband Türkischer Gemeinden in Deutschland, vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, von der Türkischen Gemeinde Hessen und von dem Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Die erste Forderung ist, zu sagen, dass es ein Ende der Bagatellisierung der rechts, rassistisch und antisemitisch motivierten Straftaten durch politisch Verantwortliche geben muss, sowie die Anerkennung, dass es ein strukturelles Problem des rechten Gedankenguts und des Rassismus im hessischen Polizeiapparat gibt.

Jetzt komme ich noch einmal auf den zitierten Philosophen in der Frankfurter Rundschau zurück, der sagt: „Von einem strukturellen Problem können wir dann sprechen, wenn Strukturen systematisch und regelmäßig bestimmte Einstellungen und Verhaltensmuster vorbringen.“ Das sind eben keine Einzelfälle. Der hessische Innenminister Beuth hat allein von vier Fällen in vier verschiedenen hessischen Polizeipräsidien gesprochen. Also, wir haben nicht ein Neonazi-Netzwerk in der Polizei, wir haben gleich vier. Das ist für mich beileibe kein Grund, entspannt zu sein. Es bringt regelmäßig diese Strukturen hervor und dem muss man sich stellen!

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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