Es ist höchste Zeit, eine sozial-ökologische Wende in der Verkehrspolitik einzuleiten

15. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 29. Juni 2017

Tagesordnungspunkt 8: ÖPNV stärken, Teilhabe erhöhen

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8., Bürger*innen-Ticket, auf. Zu diesem Thema behandeln wir die Vorlage NR 319 der LINKE-Fraktion. DIE LINKE-Fraktion hat den Antrag zur Tagesordnung I gestellt. Als erste Rednerin hat Frau Buchheim von der LINKE-Fraktion das Wort. Bitte schön!

Stadtverordnete Astrid Buchheim, LINKE.:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Grenzwerte von Stickstoffdioxid werden in Frankfurt am Main immer wieder überschritten. Einen großen Anteil daran hat der motorisierte Individualverkehr.

Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler:

Entschuldigung, Frau Buchheim!

Auch wenn es schon Viertel nach zehn ist, wäre es sehr schön, wenn wir hier die Plenarsitzung laufen lassen könnten, und wenn Sie wichtige Gespräche zu führen haben, Sie diese draußen, jenseits des Saales, führen würden. Vielen Dank! Entschuldigung, die Zeit bekommen Sie gutgeschrieben.

Stadtverordnete Astrid Buchheim, LINKE.:

(fortfahrend)

Ziel muss es also sein, Alternativen zum eigenen Pkw zu schaffen. Seien es gut ausgebaute und sichere Fuß- und Fahrradwege, eine Infrastruktur der kurzen Wege, aber eben auch ein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr, den sich alle leisten können. Aber was macht die Koalition? Die Grenzwerte werden überschritten und ihr fällt nichts anderes ein, als das Aufstellen von City Trees prüfen zu lassen. Das ist ein Herumdoktern an Symptomen, völlig an der Ursache vorbei. Aber das ist nur ein Teil der Flickschusterei, mit der die Koalition Verkehrspolitik macht. Der ÖPNV in Frankfurt am Main ist viel zu teuer, als dass ihn sich alle Frankfurterinnen und Frankfurter leisten könnten. Mobilität ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Mobilität ist die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Die Verkehrspolitik der Stadt Frankfurt am Main führt aber dazu, dass sich immer weniger Frankfurterinnen und Frankfurter den ÖPNV leisten können. Immer mehr Menschen werden bei den jährlichen Preissteigerungen vom ÖPNV ausgeschlossen. Die Koalition feiert sich für das 365-Euro-Ticket für Schülerinnen, Schüler und Auszubildende. Ja, dieses Ticket ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber auch da werden Schülerinnen und Schüler ausgeschlossen, weil ihre Familien es sich schlichtweg nicht leisten können.

Die Koalition hat den Preis für Frankfurt-Pass-Inhaberinnen und -Inhaber zwar um über 100 Euro reduziert, aber Kinder, die Hartz IV beziehen, können es sich trotzdem nicht leisten. Dem monatlichen Betrag von 20,50 Euro für das Ticket steht eine Verkehrspauschale im Hartz IV-Regelsatz von 14,34 Euro pro Monat für Jugendliche gegenüber. Der ÖPNV ist nur ein Teil der Mobilität, die mit dieser Verkehrspauschale abgedeckt werden soll, neben beispielsweise einem Fahrrad, Fernreisen und ähnlichem. Ein Blick in die Tabelle der Hartz IV-Regelsätze vor dem Stellen des Antrags hätte hier vielleicht helfen können. Aber nicht nur, dass sich viele den ÖPNV schlichtweg nicht mehr leisten können, die Preise sind auch viel zu hoch, um eine attraktive Alternative zum Pkw zu sein. Wir hatten dieses Beispiel im Verkehrsausschuss. Wenn ein Vater mit seinen drei über sechs Jahre alten Kindern von Bornheim in das neue Historische Museum fahren will, bezahlt er mindestens 11,30 Euro für eine Gruppentageskarte. Das ist schon die günstigste Variante. Wenn das Auto vor der Tür steht, ist die Fahrt mit dem Auto selbst mit Parkgebühren für vier Stunden insgesamt immer noch günstiger als die Gruppentageskarte. Der ÖPNV in Frankfurt am Main kann preislich nicht mit dem Auto konkurrieren, und so führt die Preispolitik des RMV zu einem erhöhten Pkw-Aufkommen.

(Beifall)

Was ist die Antwort der Koalition auf die vielen Autos in der Stadt? Quartiersgaragen bauen. Noch mehr Stellflächen für Pkws statt dem dringend benötigten ÖPNV-Ausbau. Damit subventioniert die Koalition den motorisierten Individualverkehr, der weiterhin für die Überschreitung der Grenzwerte sorgen wird. Die Preispolitik des Frankfurter ÖPNV ist also unsozial, gesundheitsschädlich und umweltverschmutzend. Ein öffentlicher Personennahverkehr, den sich jeder leisten kann, weil niemand mehr eine Fahrkarte zu kaufen braucht und dann auch niemand mehr aus Kostengründen sein Auto nehmen muss, nutzt allen, die sich in Frankfurt am Main aufhalten. Alle sind mobil und niemand wird mehr von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Die Grenzwerte werden dann hoffentlich eingehalten. Es gibt weniger Lärm, weniger zugeparkte Flächen, weil sich einige oder viele dann überlegen, ob sich ein Auto überhaupt noch für sie lohnt. Für alle steigert sich die Lebensqualität in der Stadt. Unseren Antrag zu prüfen, wie die Kosten für den öffentlichen Personennahverkehr alternativ zu Fahrkarten und der Querfinanzierung über den Stadtwerkebund finanziert werden können, wäre eine echte Chance für die Stadt.

Der erste Reflex ist immer, das kann nicht bezahlt werden, dann kann kein Geld mehr in den Ausbau und den Erhalt des ÖPNV gesteckt werden. Mit unserem Antrag, der den notwendigen ÖPNV-Ausbau mit bedenkt, gibt es die Möglichkeit, ehrliche Antworten auf diese Unterstellungen zu bekommen. Fragen wie, was kann eingespart werden, wenn nicht mehr maßlos in die Infrastruktur des motorisierten Individualverkehrs investiert werden müsste? Wie können die Einnahmen durch eine geänderte Parkraumbewirtschaftung erhöht werden? Was kosten die Quartiersgaragen, die geplant sind? Dieses Geld könnte besser in die Finanzierung des Nulltarifs investiert werden. Giftstoffe in der Luft machen krank. Dadurch entstehen gesellschaftliche Kosten, die ehrlicherweise berechnet werden müssen. Wie hoch sind diese und wie viel kann eingespart werden, wenn es in Frankfurt weniger Autos und mehr öffentlichen Nahverkehr gibt? Frankfurt wird wegen der dauerhaften Überschreitung der Stickstoffdioxidwerte von der Deutschen Umwelthilfe verklagt. Absehbar werden hier Strafzahlungen fällig werden. Auch das muss eingepreist werden. Wer profitiert vom ÖPNV? Das sind nicht allein die Fahrgäste, sondern vor allem auch die Arbeitgeber und indirekt auch die Autofahrerinnen und Autofahrer. An den Kosten des ÖPNV beteiligen sich zwar einige Arbeitgeber durch das Job-Ticket, die Hauptlast tragen aber immer noch die Fahrgäste. Auch der Einzelhandel profitiert, wenn er an den ÖPNV angeschlossen ist. In manchen Läden ist es üblich, die Parkkosten zu erstatten, wenn etwas gekauft wird. Aber die ÖPNV-Fahrkarte muss zu 100 Prozent selbst gezahlt werden. Warum nicht prüfen, wie der Einzelhandel sich an den Kosten des ÖPNV beteiligen kann?

(Beifall)

Das sind nur einige relevante Fragen, anhand derer eine Alternativfinanzierung des ÖPNV geprüft werden kann. Erst die Antworten auf all diese Fragen machen eine Diskussion darüber, ob es möglich ist oder nicht, seriös. Aber die Koalition drückt sich vor dieser Diskussion, indem sie unseren Prüfantrag ablehnt. Sie setzt weiterhin auf Ausgrenzung von Frankfurterinnen und Frankfurtern, die sich die Fahrpreise einfach nicht leisten können, die unter dem Straßenlärm leiden und deren Gesundheit gefährdet wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, auch der Deutsche Städtetag schlägt Alarm. Hören Sie mit Ihrer Flickschusterei auf, es ist höchste Zeit, eine sozial-ökologische Wende in der Verkehrspolitik einzuleiten.

Danke schön!

(Beifall)

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Danke schön! Die letzte Wortmeldung kommt von Frau Stadtverordneter Buchheim. Sie haben noch zwei Minuten und 15 Sekunden Redezeit. Bitte schön!

Stadtverordnete Astrid Buchheim, LINKE.:

Spannende Diskussion. Es wurde dargestellt, wie komplex die gesamte Situation ist. Herrn Daum ist aufgefallen, dass ich vergessen habe, in meiner Rede zu erwähnen, dass da auch die solidarische Finanzierung von allen Nutzerinnen und Nutzern mit drin ist. Natürlich muss alles geprüft werden, alles muss eingepreist werden. Daran sehen Sie, wie komplex das Ganze ist. Das spricht für mich erst recht für eine Machbarkeitsstudie.

(Beifall)

Herr Emmerling hat gesagt, die SPD stehe für einen erschwinglicheren ÖPNV. Im Moment kann ich das aber irgendwie leider nicht erkennen. Es wurde zum Beispiel gesagt, das Frankfurt-Ticket, das für Frankfurt-Pass-Inhaberinnen und Frankfurt-Pass-Inhaber, ich nehme an, es geht um das Monatsticket, sei schon günstiger. Auch da haben Sie anscheinend wieder nicht in die Verteilung im Regelsatz geschaut. Die Verkehrspauschale ist da gerade einmal so hoch, dass das Ticket mit über 60 Euro mehr als das Dreifache kostet, als das, was als Verkehrspauschale in einem Hartz-IV-Regelsatz dafür zur Verfügung steht. Das ist unbezahlbar. Das ist unsozial.

(Beifall)

Dann wurde gesagt, dass es 95 Prozent der Straßen sowieso geben müsste. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir geschrieben hätten, die Straßen müssten abgeschafft werden. Natürlich müssen die Straßen erhalten bleiben für den ÖPNV, für die Radfahrenden. Meine Fantasie reicht soweit, zu überlegen, dass eine Straße langsamer kaputt geht, wenn eben nicht so viele Autos darüberfahren, und dann weniger Investitionskosten entstehen, und dass man durchaus etwas sparen kann.

(Beifall)

Ich hatte einmal gedacht, die GRÜNEN stünden für sozial und ökologisch. Heute Abend habe ich gelernt, dass die Gesundheit der Frankfurterinnen und Frankfurter nur eine Rolle spielt, wenn dadurch Einnahmen generiert werden. Es ist unfassbar.

(Beifall, Zurufe)

Dann kam das immer wieder hervorgekramte Argument, die LINKEN in der Regierung setzen das doch auch nicht durch. Dann würde ich doch jetzt einmal sagen, die regiert auch ganz oft mit der SPD. Aber ich finde, Frankfurt kann es doch dann den LINKEN-Regierungen einfach einmal vormachen, wie es geht.

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Frau Buchheim, Ihre Redezeit ist zu Ende.

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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