Videoüberwachung: CDU hat keine faktenbasierte Politik

13. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 4. Mai 2017

Tagesordnungspunkt 6.2: Videoüberwachung an der Hauptwache installieren

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Vielen Dank, Frau Busch! Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kliehm von der LINKE.-Fraktion. Bitte!

Stadtverordneter Martin Kliehm, LINKE.:

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir befassen uns heute in erster Linie mit dem Antrag der FDP, der als Reaktion auf die Äußerungen des Bürgermeisters am 28.12.2016, kurz nach Weihnachten, gestellt wurde. Er nannte darin als Begründung für die Ausweitung der Videoüberwachung erstens den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Sie kennen die Geschichte inzwischen. Wir sehen uns dort konfrontiert mit einem Versagen der deutschen Ermittlungsbehörden und der Justiz auf breitem Feld. Der Täter war bekannt, er wurde überwacht, es gab mehrere Möglichkeiten, ihn zu verhaften, aber das ist nicht geschehen. Anis Amri wurde letztlich aufgrund von solider Polizeiarbeit und nach einer europaweiten Fahndung in Mailand gestellt – ganz ohne Videokameras.

Zweitens hat Herr Becker den versuchten Mord an einem Obdachlosen in einer Berliner U-Bahn-Station genannt. Auch dort stelle ich fest, dass sechs der sieben Täter polizeibekannt waren, und – Frau Busch hat es eben gesagt – auch in Frankfurt werden Bahnstationen und Verkehrsmittel schon jetzt videoüberwacht. Es wäre also keine Neuerung. Frau Busch, Sie haben nicht die Bahnstationen genannt, sondern die vielen privaten Stellen, aber auch die Bahnstationen werden bereits videoüberwacht.

Drittens hat Herr Becker die Körperverletzung an einer 26-Jährigen in einer Berliner U-Bahn-Station genannt, die die Treppe heruntergetreten wurde, wobei sie sich den Arm gebrochen hat. Auch hier war der Täter polizeibekannt, und er wurde letztlich wenige Wochen später an einem Busbahnhof in Berlin bei einer Präventionskampagne der Polizei gegen Taschendiebe gefasst. Viele Polizeikräfte waren zufällig in der Nähe. Ich stelle fest, der Täter konnte gefasst werden, weil Polizei auf der Straße war. Und auch das war in einer U-Bahn-Station. Ich habe es eben schon gesagt, auch in Frankfurt werden die U-Bahn-Stationen und Verkehrsmittel bereits jetzt videoüberwacht.

Ich kann also aus diesen drei Beispielen, die Herr Becker genannt hat, nicht ablesen, weswegen wir jetzt eine Videoüberwachung an der Hauptwache bräuchten. Davon abgesehen, hören wir quasi in jeder Sitzung des Ausschusses für Recht, Verwaltung und Sicherheit ein neues Einzelbeispiel, wo Videoüberwachung jetzt wieder etwas gebracht hätte. Ich glaube, Sie konstruieren sich das und nehmen irgendwelche Beispiele aus der Luft, aber ich kann dort noch keine faktenbasierte Politik bei der CDU erkennen. Wenn wir bei der CDU Fakten einfordern, geht es immer ins Leere. Fragen nach belastbaren Daten bleiben immer unbeantwortet. Ich hätte es gerne gewusst, was denn Videoüberwachung konkret gebracht hätte, aber wenn wir nach Zahlen fragen, kommt einfach nichts. Es gibt kein Konzept. Frau Busch hat es gerade schon erwähnt. Einwände, wie etwa zur Versammlungsfreiheit, wie auch Stellungnahmen von Fachleuten, werden konsequent ignoriert. Es gibt keinen abschreckenden oder präventiven Effekt von Videokameras. Das sagt der Berliner Polizeipräsident, und das sagen Kriminologen. Schauen Sie einmal nach. Studien in Großbritannien und Deutschland belegen, dass die Aufklärungsraten von Straftaten nicht durch Videokameras steigen. London ist mit Videokameras zugepflastert, aber die Aufklärungsrate ist nicht gestiegen. Sie brauchen dort ordentliche Polizeiarbeit. Auch die 16 Datenschutzbeauftragten der Bundesländer – das sind ja nun keine Laien – kommen zu dem Schluss, „auch die mögliche Erhöhung eines faktisch ungerechtfertigten subjektiven Sicherheitsgefühls könnte Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen“. Faktisch ungerechtfertigt, sagten die 16 Datenschutzbeauftragten. Die Kriminologin Professor Dr. Rita Haverkamp, Mitglied im Forschungsbeirat des Bundeskriminalamtes – Sie haben es vielleicht in den Mitteilungen von dieDatenschützer Rhein Main gelesen -, sagt, dass es keinen objektiv messbaren Effekt auf die Kriminalität gibt. Aber, und da kommen wir zu dem Punkt der CDU, die Bevölkerung fühlt sich subjektiv sicherer. Jetzt ist es mit diesem subjektiven Sicherheitsempfinden so eine Sache. Wenn Ihre Wählerinnen und Wähler, für die Sie das ja machen, sich durch ein paar Kameras – Sie können auch Attrappen aufhängen, die wirken ja eh nicht – subjektiv sicherer fühlen, wohin führt das? Was für eine Aufrüstungsspirale haben Sie dann? In zehn Jahren fühlen sich die Wählerinnen und Wähler der CDU durch Videokameras nicht mehr sicher. Haben wir dann alle Fußfesseln? Oder gibt es dann abends eine Sperrstunde für Jugendliche und junge Erwachsene? Das kann nicht der Maßstab unserer Politik sein, dass sich die CDU von ihrem Bauchgefühl und dem, was sie gerade im Wahlkampf braucht, leiten lässt.

Es geht bei Videoüberwachung letztlich um Wahlkampf, und da müssen wir das Kind beim Namen nennen. Es ist Videoüberwachung, es ist ein Eingriff in unsere Grundrechte, und da nützt es auch nichts, wenn Herr Becker sagt, es würde sich um Videoschutz handeln. Video schützt niemanden.

(Beifall)

Es schützt nachweislich Ihr Auto in der Tiefgarage, es schützt vielleicht auch, wenn Sie sich eine Kamera vor die Wohnungstür hängen. Das kann Leute abschrecken. Aber nicht, wenn Sie Kameras in der U-Bahn installieren. Wir machen das alles für Ihr Bauchgefühl. Aber warum denn eigentlich? Erst schüren Sie Angst, und dann verteilen Sie Valium. Das macht für mich keinen Sinn. Frau Busch hat es gerade erwähnt, Kameras der Hessischen Polizei gehören der Hessischen Polizei. Warum sollten wir als Kommune dafür bezahlen? Ich weiß, Ihre Freunde in der Hessischen Landesregierung haben jetzt Mittel für mehr Videoüberwachungen bereitgestellt, aber ich sehe nicht ein, warum wir auch nur einen Cent hineinbezahlen sollten. Wir zahlen ja auch keine Polizeiautos für die Hessische Polizei. Durch den kommunalen Finanzausgleich verliert die Stadt Frankfurt in den nächsten Jahren 530 Millionen Euro. Jetzt soll die Stadt auch noch für die Polizei des Landes Hessen Kameras kaufen? Wo kommen wir denn da hin?

Frau Busch, Sie sagten, dass dies ein komplexes Thema ist. Ich finde den Ansatz von den GRÃœNEN, einen Tauschhandel einzugehen und zu sagen, wir brauchen mehr effiziente Polizei auf der Straße, nicht verkehrt. Das heißt, wir sorgen dafür, dass die Polizei beispielsweise gegen Cannabiskonsumenten nicht mehr vorgehen muss, indem wir jetzt dieses Pilotprojekt einführen. Das halte ich für eine sehr sinnvolle Sache. Dennoch lehnen wir auch als LINKE den Antrag der FDP ab, obwohl darin steht, wir sind gegen Kameras, denn in der Begründung steht der Satz: „Die unkontrollierte Zuwanderung der letzten zwei Jahre unter Nichtberücksichtigung der einschlägigen rechtlichen, insbesondere europarechtlichen Rahmenbedingungen, hat zu einem entsprechenden Transfer kriminalsoziologisch problematischer Strukturen geführt, deren Folgen wiederum entsprechende, die Allgemeinheit beunruhigende Straftaten waren.“ Tut mir leid, Herr Dr. Schulz, das ist falsch. Sie bewegen sich da auf einem Niveau wie Donald Trump, der sagt, was Merkel gemacht hat, ist ein totales Desaster, very bad.

Ich muss feststellen – und das haben Ihre Bundestagsfraktionen ebenfalls bereits von Fachleuten gehört -, dass Frau Merkel kein Recht gebrochen hat, insbesondere kein europäisches. Wie komme ich dazu, dass ich als Linker Frau Merkel verteidigen muss, nur weil Sie hier die Videoüberwachung haben wollen?

(Beifall, Heiterkeit)

Zweitens: Geflüchtete sind nicht krimineller als Deutsche. Es gibt Beispiele.

Drittens: Straftaten haben, wenn man ausländersprezifische Delikte wie Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz herausrechnet, tatsächlich leicht zugenommen. Das ist aber auch dem Umstand geschuldet, dass mehr kontrolliert wird. Wir haben dort zum Teil Kontrolldelikte, wir haben Vergehen wie Schwarzfahren, es wurde auch festgestellt, dass im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften durch die vermehrten Polizeikontrollen auch die Straftaten von Deutschen leicht zugenommen haben, denn sie werden leichter ertappt. Am Ende haben wir auch noch teilweise eine Zunahme von Straftaten, denn Geflüchtete sind nicht nur Täter, sondern auch Opfer, wie zum Beispiel Tumulte nach einer Essensausgabe in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft zeigten. Man kann aber generell nicht pauschal Geflüchtete diffamieren, dass Geflüchtete dafür sorgen müssten, dass wir auf einmal Kameras haben müssen. Das ist die falsche Begründung. Das ist schäbig, und deshalb lehnen wir den Antrag der FDP auch ab.

Vielen Dank!

(Beifall)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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