Der Magistrat drückt sich immer noch vor der humanitären Pflicht

9. Plenarsitzung der Stadtverordnetenversammlung am 15. Dezember 2016

Tagesordnungspunkt 8: Zentrum für Roma und Sinti

 

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8., Zentrum für Roma und Sinti, auf. Zu diesem Thema behandeln wir die Vorlagen B 221 des Magistrats und OA 65 des Ortsbeirates 1. Die LINKE.?Fraktion hat den Antrag zur Tagesordnung I gestellt, und die erste Wortmeldung ist auf dem Weg. Ich darf Frau Pauli das Wort erteilen. Bitte!

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Vorsteher,

sehr geehrte Damen und Herren!

Wir haben den Bericht des Magistrats B 221 auf die Tagesordnung I setzen lassen, weil bei uns nach der Lektüre dieses Berichts sehr deutlich der Eindruck besteht, Sinti und Roma sind dem Magistrat nicht mehr als fünfeinhalb Zeilen mit zweifelhaftem Inhalt wert. Das wollen wir so nicht hinnehmen und deshalb heute diese Debatte.

(Zurufe)

Sie können sich gleich dazu äußern, Herr Stock. Da außer Frau Weber als Integrationsdezernentin, Herrn Bakakis und mir niemand an der letzten Veranstaltung am 3. Dezember teilgenommen hat, fange ich damit an, Ihnen etwas darüber zu erzählen.

Sie fand im Rahmen des Projektes Partnerschaft für Demokratie Frankfurt statt. Im Gallus, im HoRsT war eine Demokratiekonferenz zur Lage der Sinti und Roma. Unterstützt wurde diese Veranstaltung durch die Bildungsstätte Anne Frank, das AmkA und das Bundesfamilienministerium. Die Situation der knapp 5.000 in Frankfurt lebenden Sinti und Roma wurde aus vielen verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Dabei waren Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Betreuungseinrichtungen, aus der humanitären Sprechstunde des Gesundheitsamtes, vom Förderverein Roma, von einer Einrichtung der Erwachsenenbildung für Sinti und Roma, vom Roma-Center Göttingen und auch die Professorin Dr. Julia Eksner von der Frankfurt University of Applied Sciences, die am Thema marginalisierte Gruppen arbeitet. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren sich einig, dass Sinti und Roma zu den stark marginalisierten und diskriminierten Personengruppen gehören. Das ist seit Jahrhunderten so und gipfelte in der systematischen Ermordung von Roma während der NS-Zeit. In Herkunftsländern wie Rumänien und Ungarn werden Roma systematisch staatlich und auch sonst diskriminiert und leben in großer Armut.

In Ungarn zum Beispiel betreiben Rechtsradikale systematisch Terror in Dörfern, die von Roma bewohnt werden. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass solche Menschen bei der Suche nach einem menschenwürdigen Leben auch nach Frankfurt kommen. Leider ist dann für viele von ihnen so etwas wie die Brache im Gutleut die einzige Möglichkeit, irgendwo unterzukommen. Das aber sind unzumutbare Umstände, das ist beschämend für unsere Stadt. Sie, meine Damen und Herren vom Magistrat, drücken sich immer noch vor der humanitären Pflicht, hier etwas zu unternehmen. Sie retten sich in verwaltungstechnische Argumentationen, genau wie bei den Menschen, die vom Project Shelter betreut werden. Nach dem Motto „Augen zu und durch“ veranlassen Sie nur das Allernötigste, hier ein Dixi-Klo und die B-Ebene in der Hauptwache wird ein bisschen früher aufgemacht. Alles in der Hoffnung, aus dem Schneider zu sein, dass die Leute wieder verschwinden. Tun sie aber nicht, weil sie schlicht keine Alternative haben.

Sorgen Sie bitte endlich für menschenwürdige Lebensbedingungen, damit meine ich nicht die B-Ebene. Viele Roma in Frankfurt brauchen ihre Unterstützung, denn sie sind ganz besonders von Wohnungs- und Obdachlosigkeit bedroht und leben oft viele Jahre auf der Straße, nicht nur im Gutleut, und das in der reichen Stadt Frankfurt, die gerade wieder zehn Millionen Euro mehr ausgegeben hat für Menschen, die sich am Millionengrab künstlicher Altstadt ergötzen.

(Beifall)

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Betreuungseinrichtungen haben bei der eingangs genannten Veranstaltung berichtet, dass besonders die Perspektivlosigkeit vieler Roma – weil ohne Anspruch auf Sozialleistungen, ohne Zugang zu Bildung, angewiesen auf äußerst prekäre Jobs wie Scheiben reinigen an der Ampel oder Betteln, ohne Bleibe – problematisch wäre. Vor diesem Hintergrund – und deshalb halte ich heute diese Rede – ist es dringend erforderlich, dass der Magistrat mehr tut. Eine Möglichkeit dazu ist, den Förderverein Roma e. V. besser zu unterstützen als bisher.

(Beifall)

Dieser Förderverein bietet sozialpädagogische Lernhilfe, Familienhilfe, Erziehungsbeistand, Erwachsenenbildung, Berufsbildungsprojekte für Jugendliche und junge Erwachsene, ein Schulprojekt, das bis zum Erwerb eines Abschlusses führt, eine Krabbelstube und die Kita Schaworalle. Letztere habe ich vor einiger Zeit besucht und viele positive Erkenntnisse mitgenommen. Ich kann nur sagen, da wird richtig gute Arbeit geleistet.

Zurück zum Verein. Zu diesen Angeboten gibt es für Roma in Frankfurt keine Alternative. Sie sind notwendig, um eine weitere Isolation zu verhindern und auf dem Weg der Integration von Roma voranzuschreiten. Um das leisten zu können, braucht der Verein Räumlichkeiten in ausreichender Größe. Das ist Ihnen mindestens seit Anfang 2015 bekannt. Aufgrund öffentlichen Drucks, unter anderem der Demo auf dem Römerberg, haben Sie dann die Moselstraße 47 als Möglichkeit in den Raum gestellt. Bei genauerer Prüfung war indes zu erkennen, dass das von Anfang an unrealistisch war. Die Liegenschaft – übrigens im Besitz des Almosenkastens – wird frühestens ab April 2017 frei.

 

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Entschuldigung, Frau Pauli. Ich bitte die Besucher dort oben im Besucherbereich, die Sitzung nicht weiter zu stören. Danke!

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

(fortfahrend)

Die dringendsten Umbaumaßnahmen würden mindestens vier Monate dauern und knapp 200.000 Euro kosten. Der Förderverein muss aber am 31.03.2017 aus den jetzigen Übergangsräumen raus und sucht seit mindestens zwei Jahren fieberhaft, auch mit mehreren Maklern, mit allen möglichen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, inklusive mehreren Bitten an die Stadt, nach Räumlichkeiten. Sie bieten ein nicht realisierbares Objekt an und belassen es ansonsten, bis auf wenige Ausnahmen einzelner Politiker, bei einem wohlwollenden Schulterklopfen für die Arbeit des Vereins.

Nun hat der Verein die Information erhalten, dass in Bornheim Räumlichkeiten, in einem Haus, das die Stadt gemietet hat, frei sind. Leider kam die Info nicht von der Stadt, sondern aus der Bevölkerung. Die Räume wären wenigstens für die Arbeit der Jugendhilfe, der Sozialberatung und der Bildungsprojekte geeignet. Der Verein ist also durchaus bereit, das zu trennen, die Verwaltung woanders als die Hilfsangebote unterzubringen. Ähnliche Einrichtungen sind in diesem Haus schon vorhanden, das würde gut zusammenpassen. Jetzt kann der Magistrat einmal konkret beweisen, dass er mit mehr als guten Worten unterstützt, und man kann zeigen, dass auch die GRÜNEN und die SPD in Frankfurt mitregieren, indem Sie sich dafür einsetzen, dass der Verein in diesem Haus unterkommt und eventuell, so wie der Verein es befürchtet, Vorurteile gegen ihn als Mieter aus dem Weg räumt.

(Beifall)

Wenn wir dann schon dabei sind, wir sind ja kurz vor Weihnachten: Es geht hier um gute Gaben, helfen Sie nicht nur bei der Suche und Anmietung, sondern stellen Sie auch die Mittel für nötige Umbaumaßnahmen zur Verfügung. Denn es ist richtig, den Förderverein Roma e. V. mit seinen Angeboten zu unterstützen, um die Auswirkung des prekären Lebens auch von Roma, zum Beispiel das Betteln, zu verhindern. Was aber macht der Magistrat? Er spielt Law and Order und schickt die Polizei, um Bettlerinnen und Bettler zu vertreiben. Kurieren Sie also nicht länger an den Symptomen herum, sorgen Sie dafür, dass die Ursachen behoben werden.

(Beifall)

Übrigens wurde bei der schon erwähnten Veranstaltung gefragt, warum so wenige Roma anwesend seien. Die Antwort war, dass sie sich nicht in die Öffentlichkeit trauen. Das ist mehr als traurig, im Jahre 2016 hier in Frankfurt, dass sich jemand aus Angst vor Diskriminierung in der Öffentlichkeit nicht traut zu sagen, ich bin Roma. Daran müssen wir arbeiten und Sie können jetzt dazu beitragen, dass die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

Da wende ich mich einmal ganz konkret an Sie, Herr Schneider, Sie sind ja Gott sei Dank noch da, Sie kümmern sich um die städtischen Liegenschaften. Ich appelliere an Sie, in Sachen Räumlichkeiten für den Förderverein möglichst schnell Nägel mit Köpfen zu machen und möglichst schnell eine durchführbare, praktikable Lösung zu finden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

 

Stadtverordnetenvorsteher

Stephan Siegler:

Vielen Dank, Herr Pürsün! Als Nächstes folgt eine erneute Wortmeldung von Frau Pauli von der LINKEN. Bitte!

Stadtverordnete Dominike Pauli, LINKE.:

Sehr geehrter Herr Vorsteher,

sehr geehrte Damen und Herren!

Ich fange einmal mit der Rede von Frau Busch an. Was Sie da aus meiner Rede herausgehört haben, kann ich nicht nachempfinden. Das liegt vielleicht an ein wenig zu viel Glühwein heute Mittag oder an der Luft hier drinnen. Ich habe nie gesagt, dass sämtliche Probleme dieser Welt vom noch so qualifizierten Frankfurter Magistrat gelöst werden können. Was die Kritik am Magistrat allgemein anbelangt, habe ich auch sehr deutlich gesagt, dass es im Magistrat durchaus auch Leute gibt, die sich gekümmert und engagiert haben. Ich habe auch nirgends gesagt, die Stadt Frankfurt hätte gar nichts getan. Das, was ich Ihnen hier heute vorgetragen habe, war das Ergebnis der Podiumsdiskussion Anfang Dezember, von der ich Ihnen ausgiebig erzählt habe. Da wurde die Räumlichkeitsproblematik des Vereins mehr als deutlich thematisiert und das war für mich der Anlass, Herr Pürsün, heute hier auch einmal etwas schärfer noch zu später Stunde und kurz vor Weihnachten vorzugehen, weil mir das eine Herzensangelegenheit ist und da lasse ich mir, Herr Schneider, auch eine gewisse Emotionalität nicht nehmen. Denn wir stehen hier nicht als kalte Apparatschiks oder Funktionäre, sondern auch Sie folgen gelegentlich Ihren Herzensangelegenheiten, so wie ich auch. Das war mir wichtig.

(Beifall)

Wir haben jetzt vom Magistrat gehört, von Herrn Schneider, es ist alles prima, Räumlichkeiten in der Petterweilstraße sind gefunden. Da wird sich Herr Brenner sicher sehr freuen. Dass noch 60 Quadratmeter fehlen, denke ich, werden Sie auch lösen. Aber ich möchte grundsätzlich einmal sagen, ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Herr Pürsün, was immer Sie mir jetzt unterstellt haben, warum ich die Rede gehalten habe oder nicht, manchmal ist es wirklich so, dass es genau so ist, wie es ist, man hält die Rede aus genau dem Grund, den man in der Rede auch benennt.

Vielen Dank!

(Beifall, Zurufe)

Hier können Sie die Rede als PDF-Datei herunterladen.

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